Der Ehrendoktor und das kreisrunde Notenblatt

Zehnteilig, als Brücke zwischen den Religionen gedacht, zum Teil auf kreisrunden Notenblättern: Dieses besondere Oratorium des Berner Komponisten Daniel Glaus wird anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums der Uni Bern im Berner Münster uraufgeführt.

Von Bettina Jakob 17. August 2009

Der Dom klebt sogar auf seiner Agenda – in Form einer Postkarte, eine vorne, eine hinten. Sie zeigen das Längsschiff, den Chor und die hohen gotischen Fenster der Altenberger Klosterkirche bei Köln. Daniel Glaus trägt das Bild immer bei sich, eine Inspiration, liefert der Grundriss des Baus doch gleichzeitig die Struktur seines neuen Werks. Der Berner Komponist und Münsterorganist hat zum 750-Jahr-Jubiläum des Zisterzienser Doms im Auftrag des Vereins Altenberger Kultursommer ein zehnteiliges Oratorium zu Texten des berühmten Mönchs Bernhard von Clairvaux geschrieben. Die Uni Bern stieg im Rahmen ihres 175-Jahr-Jubiläums mit in das Projekt ein, und am kommenden Dienstag wird Glaus’ Werk «Sola quae cantat audit et cui cantatur (Nur die es singt, hört es, und dem es gesungen wird)» im Berner Münster uraufgeführt. Es folgen zwei weitere Konzerte im Grossmünster Zürich und natürlich im Altenberger Dom.

Ein Dom
Beeindruckend als riesiges Kreuz angelegt: der Altenberger Dom bei Köln. Bild: www.altenberger-dom.de

Töne suchen wie Zahlen beim Sudoku
«Die Zahl Zehn symbolisiert in der christlichen und jüdischen Religion Vollkommenheit», erläutert Daniel Glaus die Entstehung seines zehnteiligen Werks. Der Dom ist in zehn Bereiche eingeteilt, und die «Zehn» taucht auch in der Musik auf: «Ich habe zehnstimmige Akkorde zusammengestellt, in welchen jeder Ton nur einmal und gleichzeitig neun verschiedene Intervalle vorkommen.» Auf diesem Tonmaterial, welches sich Glaus für das Oratorium beim fleissigen Tüfteln «wie beim Schachspiel oder beim Sudoku» bereitgestellt hat, baut das ganze Oratorium auf.

Anspruchsvoll? «Ja, schon», sagt Daniel Glaus, und der Ehrendoktor der Uni Bern hat sich noch weitere Herausforderungen auferlegt: Eine Passage des Oratoriums hat Daniel Glaus auf kreisrunde Notenlinien geschrieben, «wie etwa Kanongesänge im 13./14. Jahrhundert notiert wurden». Die runden Notenblätter hat er mit Zirkel und Bleistift selbst gezeichnet, ausgeschnitten, die verschiedenen Stimmen sind wie eine Sternkarte gegeneinander drehbar, «und es entsteht endlose Musik». Die sieben Stimmen des Vokalensembles Zürich, die Blechbläser und Streicherinnen erhielten jedoch alle Noten auch auf geraden Linien, beruhigt Glaus schmunzelnd.

Kreisrundes Notenblatt
Endlose Musik: Daniel Glaus hat eine Passage auf ein kreisrundes Notenblatt geschrieben. Bild: zvg

Arabische Klänge und etwas Mystik

Glaus’ Oratorium vereint Vieles: Der Organist versucht eine Brücke zwischen dem Christentum, Judentum und dem Islam zu schlagen, erklingen doch auch drei arabische mystische Texte neben den christlichen des bekannten Zisterzienser Mönchs Bernhard von Clairvaux. Zusammengestellt hat das Textmaterial der Münster-Pfarrer Jürg Welter, und die Überlieferungen zeigen: «Von Clairvaux war eine umstrittene Person im Europa des 12. Jahrhunderts», so Glaus: Der Geistliche rief etwa eifrig zu den Kreuzzügen auf, setzte sich aber auch gegen die Judenverfolgung ein. Und als Mystiker bewegte er sich nach der «Scala claustralium», der Meditationsanleitung für Mönche, von der Lectio (Lesung), Meditatio (Meditation), über die Oratio (Gebet) zu der Contemplatio (Erleuchtung). «Eine Erfahrung, die er in seinen Texten beschreibt», so Glaus: Das Gefühl der Erkenntnis, das plötzlich da, und dann bereits wieder weg gewesen sei.

Auch Daniel Glaus wird da sein – und bleiben: Am kommenden Dienstagabend wird er auf einer Bank im Berner Münster sitzen und «bestimmt aufgeregt die Uraufführung aushalten». Er könne dann nichts mehr machen. Aber möglicherweise wird ja Bernhard von Clairvaux selbst über der Aufführung wachen: Im Münster schaut der Heilige Bernhard direkt über der Schwalbennestorgel aus dem «Himmlischen Hof» auf den Organisten herab.

Daniel Glaus

bj. Daniel Glaus studierte am damaligen Konservatorium für Musik und Theater in Bern, wo er das Theoriediplom und das Orgellehr- und Solistendiplom erlangte. Es folgten Kompositionsstudien an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau und Orgelstudien in Paris. Im Jahr 2007 wurde Daniel Glaus Organist am Berner Münster und damit Professor für Orgel an der Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Musik. Neben seiner Tätigkeit als Organist hat sich Daniel Glaus als Komponist eines breiten kompositorischen Ouevres mit Schwergewicht auf sakraler Musik international einen Namen geschaffen. Dazu gehören Titel wie «Sunt lacrimae rerum» (Oratorium für den Planeten des Lebens mit Texten von Dorothee Sölle, Adolf Muschg und Kurt Marti), die «Komposition zu Meister Eckart» und die «Vier Sephiroth-Symphonien». 2006 verlieh ihm die Christkatholische und Evangelische Theologische Fakultät der Universität Bern die Würde eines Ehrendoktors.