«Die direkte Demokratie ist ein Risiko»

Die Demokratie ist ein heikles Gut und darf nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden – selbst, wenn dadurch das Völkerrecht tangiert wird: Dieses Fazit zogen Wissenschaftler und Politiker an einer Uni-Podiumsveranstaltung zur Minarett-Initiative.

Von Astrid Tomczak-Plewka 15. Dezember 2009

«Ein Land macht Angst»: Mit dieser Schlagzeile brachte die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» das Unbehagen auf den Punkt, welches seit der Abstimmung über die Minarett-Initiative in weiten Teilen der Schweiz und über die Landesgrenzen hinaus herrscht. Samuel Leutwyler, Präsident des Forums für Universität und Gesellschaft der Universität Bern, nutzte das Zitat als Einstieg in die Podiumsveranstaltung mit dem Titel « Bürgerrechte kontra Menschenrechte». Ständerat Hans Lauri, Völkerrechtsexperte Walter Kälin und Politologe Wolf Linder stellten dar, welche politischen und juristischen Konsequenzen aus der Abstimmung zu ziehen seien.

Eines kristallisierte sich schon zu Beginn heraus: Wer sich im voll besetzten Hörsaal schnelle Antworten und Lösungsvorschläge erhofft hatte, wurde enttäuscht. Hans Lauri warnte gar vor einem übereilten Aktivismus. «Ich plädoyiere für mehr Gelassenheit», sagte er. Allerdings müsse das Verhältnis von zulässigen Initiativen und «zwingendem Völkerrecht» überdacht werden. Wichtig sei es, dies «ohne Zeitdruck und unabhängig von einer konkreten Initiative» zu tun. Damit wandte sich Lauri explizit gegen Bestrebungen, im jetzigen Zeitpunkt politisch auf das Abstimmungsresultat zu reagieren und einen erneuten Volksentscheid herbeiführen zu wollen, «der dann vielleicht wieder falsch heraus kommt».


Auf dem Podium: Hans Lauri (am Rednerpult), Walter Kälin, Thomas Cottier und Wolf Linder. (Bilder: Walter Pfäffli/zvg)

Kein neues Phänomen

Der Völkerrechtsexperte Walter Kälin wies darauf hin, dass es immer wieder zu Konflikten zwischen der nationalen Souveränität und dem Völkerrecht kommt. Grundsätzlich hätte aber das völkerrrechtliche Vertragsrecht Vorrang. Ein Gesetz, das im Widerspruch zu einem Völkerrechtsvertrag steht, kann demnach nicht durchgesetzt werden. Eine Ausnahme liegt vor, wenn das Parlament diesen Bruch bewusst in Kauf nimmt. Ob dies bei der Minarett-Abstimmung der Fall sei, müsse das Bundesgericht entscheiden – es sei allerdings eher unwahrscheinlich. Grundsätzlich stelle sich aber die Frage, wie man mit völkerrechtswidrigen Initativen umgehen soll. «Manchmal kann eine Initiative völkerrechtskonform ausgelegt werden. Damit wird dem Willen der Initianten nicht vollumfänglich entsprochen, aber das Demokratieprinzip findet Anwendung», so Kälin. Im Fall der Minarettabstimmung ist dies allerdings nicht möglich, weil diese ein Bauverbot für Minarette festlegt. Da gibt es keinen Auslegungsspielraum.

Es kann auch sein, dass eine Initiative einen impliziten Kündigungsauftrag enthält, weil sie gegen einen abgeschlossenen Vertrag verstösst. Diese Option wurde nach der jüngsten Abstimmung bereits ins Feld geführt: Die Forderung lautet, die Schweiz müsse die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen – und dann gleich wieder einen neuen Vertrag mit einem entsprechenden Vorbehalt abschliessen. Diesen «schlaumeierischen» Weg erachtet Kälin als nicht gangbar, denn: «Die Stimmbürger müssen wissen, worüber sie abstimmen. Und eine Kündigung des EMRK stand nicht zur Diskussion.»


Plädierte für «mehr Gelassenheit»: Ständerat Hans Lauri

Die Tücken der «political correctness»

Einer, der dem Stimmvolk immer wieder besonders vehement die Lanze bricht, ist Wolf Linder. «Ich kann es nicht gut verstehen, dass sich so viele Stimmen erheben, die das Initiativrecht ändern wollen», sagte der ausgewiesene Demokratieforscher. «Ich sehe bei allfälligen Konflikten eher die Demokratie als den Rechtsstaat gefährdet.» Initiativen hätten unter anderem auch eine Ventilfunktion. Durch die Globalisierung hätten sich in den letzten 20 Jahren verschiedene Konflikte verschärft, so derjenige zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Kapital und Arbeit. Ausserdem führte die verstärkte Einwanderung zu Integrationsproblemen. «Es ist heute nicht der Zeitpunkt, dieses Ventil zu stopfen», so Linder. Zudem führe eine falsche «political correctness» heute oft dazu, dass die Leute ihre Meinung nicht mehr zu sagen wagten – was ja auch bei den Meinungsumfragen vor der Minarett-Abstimmung der Fall war. «Ob in diesem Umfeld die Zurückbindung der Demokratie nicht als Anmassung der Polit-Elite empfunden würde, ist fraglich», so Linders Analyse.

Auch der Politologe plädierte für eine vorgängige Prüfung von Initiativen, vor allem aber appellierte er an die Politik. «Die direkte Demokratie hat sich bis jetzt bewährt, weil wir verantwortungsvolle Parteien hatten. Wenn aber eine Regierungspartei vorab populistisch agiert, ist diese Voraussetzung nicht mehr gegeben.»

Schnelles Handeln – oder schweizerische Zurückhaltung?

Die politische Verantwortung aber auch die juristische Aufarbeitung – das waren Forderungen, die auch in der nachfolgenden Diskussion unter der Leitung von Thomas Cottier immer wieder angemahnt wurden. Das Spannungsfeld öffnete sich aber auch hier wieder – zwischen jenen, die möglichst schnell handeln wollen und jenen, die auf die «selbst reinigende» Kraft der gewachsenen schweizerischen Demokratie setzen. Dabei wurde deutlich, was Linder in einem Satz zusammenfassste: « Die Demokratie ist ein Risiko.»

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