Die Solarenergie steht im Schatten
Der Enthusiasmus ist der Zaghaftigkeit gewichen: Die Schweiz steht mit ihrem Engagement für Solarenergie nicht besonders gut da. Das zeigt das neue Buch des Berner Historikers Marco Majoleth, der den energiepolitischen Prozess von 1973 bis 2000 unter die Lupe nahm.
Da war die Schweiz noch Pionierin: Anfangs der 1990er Jahre gewann das Solarfahrzeug «Spirit-of-Biel-Bienne» das härteste Rennen für Solarmobile, die «World Solar Challenge» in Australien – die Solarenergie stand in Helvetien auf der Sonnenseite. «Seitdem ist die Schweiz kontinuierlich auf das Mittelmass zurückgefallen», fasst eine neue Publikation des Historischen Instituts der Uni Bern zusammen. Marco Majoleth ging in seiner Lizentiatsarbeit der Frage nach, wie sich Solarstrom und Energiepolitik in der Schweiz von 1973 bis 2000 entwickelten. Sein Fazit gibt dem daraus entstandenen und neu publizierten Buch gleich den Titel «Go and Stop»: Gemäss Majoleths Auswertungen stehen – nach anfänglichem Durchstarten – Bundesrat, Parlament und Stimmvolk auf der Bremse. Der Historiker spricht von einer «halbherzigen, schmalbrüstigen Förderpolitik in der Photovoltaik». Ursache dafür sei die politische Konstellation: auf der einen Seite die konventionelle Koalition aus der (Energie-)Wirtschaft mit ökonomischen Argumenten, auf der anderen die alternative mit hauptsächlich ökologischen Überlegungen.

Seilziehen zwischen den zwei Lagern
Ein Blick in die Geschichte beschreibt den Weg einer zaghaften Sonnenenergiepolitik: Eine massive Preissteigerung des Erdöls macht 1973 deutlich auf die Abhängigkeit von einem einzigen Energieträger aufmerksam. Der Bundesrat lässt einen Energieverfassungsartikel entwerfen, der eine «sichere, umweltgerechte, sparsame und günstige Energieversorgung» in der Schweiz abdecken soll. Die beauftragte Kommission empfiehlt neben Forschen, Vorsorgen und Sparen auch die Substitution. Allerdings meint sie damit in erster Linie den Ersatz des Erdöls durch nuklear erzeugte Elektrizität, nicht etwa durch erneuerbare Energieträger.
Das ruft die Umweltverbände auf den Plan: Eine alternative Koalition fordert Forschungsgelder zu Gunsten erneuerbarer einheimischer Energie aus Holz, Sonne, Umgebungswärme, Biogas und Geothermik. Man solle der Nachwelt ausreichend natürliche Rohstoffe belassen und die Umwelt nicht mit Abfällen belasten, lautet das Credo. Vertreter der Energiewirtschaft konstatieren dagegen, es sei nicht Aufgabe des Staates, den Rohstoffverbrauch einzuschränken – und eine Energiesteuer lehnen sie strikte ab: Höhere Energiepreise würden der Wirtschaft schaden. Die alternative Seite attestiert einer Besteuerung aber gerade eine innovationsfördernde Wirkung. Doch die Energiesteuer setzt sich nicht durch. «Kein Geld, keine griffige Förderung der Alternativ-Energien», folgert Marco Majoleth.
Neuer Weg nach Tschernobyl?
Dann kommt Tschernobyl: Die Reaktorkatastrophe im Jahr 1986 beeinflusst die schweizerische Energiepolitik nachhaltig. Der Bundesrat lässt ein Energiekonzept auf die Beine stellen, das auch einen Ausstieg aus der Atomkernenergie berücksichtigen muss. Der längst entworfene Energieartikel findet 1990 Stände- und Volksmehr und dient als Grundlage für die Förderung der erneuerbaren Energien. Allerdings werden die Vorhaben oftmals redimensioniert, die grossen Worte zurückgenommen. Denn die Schweiz steckt in der Rezession, und in Einzelfällen werden Alternativ-Energie-Projekte von Ständen und Volk sogar fallen gelassen. «Für die betroffenen Branchen ein unberechenbarer Zustand», fasst Majoleth zusammen. Nach wie vor wird auf die Nuklearenergie gesetzt: Die Ausgaben für die Forschung in der Atomkernenergie belaufen sich von 1974 bis 2000 auf 1’908 Millionen Franken. Der Photovoltaik stehen im selben Zeitraum 237 Millionen Franken zur Verfügung.
Nachbarländer sind «grüner»
Umwelthistoriker Marco Majoleth schaut in seiner Studie auch über die Landesgrenze hinaus und stellt fest: «Aufgrund der geringeren Mitwirkungsmöglichkeiten in der Politik, fiel es den Nachbarländern leichter, Förderprogramme für erneuerbare Energien durchzusetzen.» Deutschland zum Beispiel vergütet seit fast zehn Jahren die Nutzung erneuerbarer Technologien kostendeckend zurück. In der Schweiz wurde die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) erst vor knapp einem Jahr eingeführt. Von den jährlich 320 Millionen Franken für Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie, Biomasse und Geothermie stehen der Photovoltaik – der teuersten Technologie – bislang lediglich 16 Millionen Franken zur Verfügung. Weiter sind die Kontingente für Photovoltaik-Projekte schlank gehalten: Die Schweizerinnen und Schweizer bauen 25 Mal weniger Solaranlagen als die Deutschen.
Die Schweizer Demokratie verlangsamt
Ein zähes Vorwärtsgehen, für welches das schweizerische politische System mitverantwortlich sei: Das sagte Urs Wolfer, langjähriger Bereichsleiter für Solarenergie beim Bundesamt für Energie vor einem Jahr in der Zeitschrift «Erneuerbare Energien». Gemäss EU-Studien sei die Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit, für erneuerbare Energien mehr zu bezahlen. «Mit unseren demokratischen Einflussmöglichkeiten können Bundesrat und Parlament nur so weit gehen, wie die Mehrheit der Bevölkerung dies mitträgt.» Sonst drohe das Referendum, zitiert Majoleth den Solarexperten.
Und doch: «Alle wissen eigentlich, dass die konventionelle Energie zu billig ist», sagt Marco Majoleth. Doch dann auch wirklich nach Wissen und Gewissen zu handeln, verlange halt noch einen weiteren Schritt. Und im Jahr 2000, mit welchem Majoleths Recherche endet, waren die Schweizerinnen und Schweizer eben noch nicht soweit: Sie verwarfen die «Solarrappen»-Initiative hochkant mit 67 Prozent.