Die Welt auf 2500 Blättern
Die Idee war visionär und ambitiös: Im ausgehenden 19. Jahrhundert wollte der deutsche Geograph Albrecht Penck eine Internationale Weltkarte erstellen. Ein Vortrag der Historikerin Ute Schneider an der Uni Bern gab Einblicke in die von Spannungen und Konflikten geprägte Geschichte des Weltkarten-Projekts.
Bern im Jahr 1891: Albrecht Penck unterbreitet dem 5. Internationalen Geographenkongress seine Idee einer Schaffung eines Gesamtbildes der Erde. Anhand von insgesamt 2500 an einheitlichen Standards orientierten Blättern sollte die gesamte Erdoberfläche abgebildet werden. Ein Grossprojekt, bedurfte es doch der globalen Kooperation. Nach langen und heftigen Debatten sprachen sich die Geographen schliesslich für die Herstellung eines Weltbildes unter internationaler Zusammenarbeit aus.
Voraussetzung zur Herstellung einer Weltkarte war eine gemeinsame «Kartensprache». Internationale kartographische Standards waren jedoch anfangs des 20. Jahrhunderts kaum gegeben. Lokale Vermessungen und unterschiedliche Blattgrössen, Farbgebungen und Benennungen bestimmten das Kartenbild der Erde.

Im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik
Aufgrund von Klagen über die geringen Fortschritte – vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnten nur acht Karten erstellt werden –, aber insbesondere aufgrund nationaler Interessen wurde der Pencksche Vorschlag rasch zum Politikum.
Das europäisch dominierte Weltkarten-Projekt war von vorneherein zwischen nationaler Politik und internationaler Wissenschaft anzusiedeln. Die enge Kooperation zwischen Kartographen und Militärs war ein Ausdruck hierfür. Sie prägte und beeinflusste in vielen Ländern die Geschichte der Weltkarte. Zudem war der europäische Wettlauf um die territoriale Aufteilung des Globus’ in vollem Gang. Dieser äusserte sich nicht nur in gewalttätigen Auseinandersetzungen, sondern wurde auf Karten und mit Hilfe derer weitergeführt. Denn sie waren Spiegel imperialer Machtansprüche.
Die britische Regierung lud 1909 Vertreter aus Wissenschaft und Politik zu einer Internationalen Kartenkonferenz ein, um grundlegende Entscheidungen über die Gestaltung der Blätter vorzunehmen. Man einigte sich auf eine relativ flächentreue Projektionsform und legte die Blattgrösse auf vier Grad Breite und sechs Grad Länge fest. Diese Entscheidung war wie auch diejenige zu den Farbgebungen – wie etwa die Meere in Blau darzustellen – kaum umstritten. Hitzige Diskussionen und langjährige Konflikte entzündeten sich jedoch an den Benennungen und Grenzziehungen.
Formosa oder Taiwan?
Die Grenzfrage entbrannte nach dem Ersten Weltkrieg und blieb bis zur Beendung des Projekts virulent. Noch heute tragen viele Karten den Hinweis, dass die Grenzen von der UNO nicht anerkannt seien. Auch die Frage, wie mit Namen zu verfahren sei, wurde rege diskutiert. Würden beispielsweise alle Formosa auf der Karte finden, wenn die Insel nur den chinesischen Namen Taiwan trägt? Zur Lösung solcher Fragen setzten die Vereinigten Nationen 1959 eine Kommission zur Standardisierung geographischer Namen ein. Sie erhoffte sich dadurch, wie bereits Penck zuvor, dass sich die Namen durch die Karten einbürgern würden. Ein schwieriges Vorhaben, pochten doch die verschieden Staaten und Ethnien auf ihr Benennungsrecht. Schliesslich stellt dieses ein Ausdruck von Macht und Identität dar.
Neuer Anlauf und ernüchternde Bilanz
Die beiden Weltkriege führten zu einem Unterbruch der internationalen Zusammenarbeit. Doch bereits 1952 wurde bei den Vereinten Nationen eine Stelle geschaffen, um die Zusammenarbeit und die Durchsetzung der Standards zu koordinieren und zu vereinfachen. Nach einer Blütephase in den 1960er Jahren stagnierte das Projekt in den 1970er Jahren, bis es schliesslich 1987 offiziell eingestellt wurde. Insgesamt wurden nur rund 800 Blätter fertig gestellt. Spannungen zwischen nationalstaatlichen Ansprüchen und globalen Zielen und Standards trugen massgeblich zum Scheitern des Weltkarten-Projekts bei.