Echte Berner Klänge im Münster
Im Rahmen der 175-Jahr-Feier der Universität Bern veranstaltete das Institut für Musikwissenschaft ein Konzert mit Kompositionen, die vor 500 Jahren am Berner Münster erklungen sind und nun neu ediert werden. Garant für berauschende Klänge war dabei das renommierte deutsche Vokalensemble Singer Pur.
Wie viele Schweizer Komponisten können Sie aus dem Stegreif aufzählen? Einen, zwei – oder gar keinen? Zugegeben, im internationalen Vergleich hat es die Schweiz in musikalischer Hinsicht nicht ganz einfach – Bern (und auch Zürich) können nun einmal verglichen mit Wien, Paris und München nicht bei den grossen Musikstädten mitmischen. Und dennoch gab und gibt es natürlich Werke und Komponisten, die aus Bern stammen oder zumindest einen starken Berner Bezug aufweisen. Eine musikalisch grosse Zeit erlebte die damalige freie Reichsstadt insbesondere im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Nachdem man 1421 den Grundstein zum Münster gelegt hatte, wurde die Kirche 1485 mit einem Chorherrenstift und einer Sängerschule versehen. Für dieses Ensemble waren in der Folge einige der bekanntesten Schweizer Komponisten zu jener Zeit tätig.

Wogende Klangflächen
Einen akustischen Einblick in diese Zeit und ihre Kompositionskunst bot das im Berner Münster stattfindende Konzert des deutschen Ensembles Singer Pur. Vom einstimmigen gregorianischen Gesang bis zum kunstvollen Geflecht aus sechs Einzelstimmen bot das renommierte Sextett, bestehend aus fünf Männern und einer Sopranistin, eine reiche Palette von leuchtenden Klangperlen. Aus schwebenden und wogenden Klangflächen hoben sich klar herausgearbeitet die verschiedenen Einsätze dieser vokalen Vielstimmigkeit ab. Die wohl zumindest teilweise für den Klangraum des Münsters geschaffenen Kompositionen kamen dabei hervorragend zur Geltung. Claudia Reinhard, Klaus Wenk, Markus Zapp, Manuel Warwitz, Rainer Schneider-Waterberg und Marcus Schmidl fanden in ihren Interpretationen die richtige Mischung zwischen in sich ruhender Weite und fast swingendem Fluss. In fast Stück für Stück wechselnden Besetzungen bot das mehrfach ausgezeichnete Ensemble dem Publikum immer neu ein kompaktes und differenziertes Klangerlebnis.
Von Hymnen bis zu Orgelstücken
Die zu Gehör gebrachten Werke stammten in erster Linie von Cosmas Alder und Johannes Wannenmacher, die beide in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – also in der Zeit der Reformationswirren – am Berner Münster wirkten, sowie vom vorwiegend in München tätigen Schweizer Komponisten Ludwig Senfl. Eine klangliche Abwechslung zu den unbegleitet gesungenen Mottetten und Hymnen boten zudem Orgelstücke des ebenfalls in Bern wirkenden Organisten und Lehrers Hans Kotter, die von Münsterorganist Daniel Glaus mit differenzierter Registrierung eindrucksvoll interpretiert wurden.
Musikwissenschaftler lancieren Online-Edition
Den Anlass für das im Rahmen der Feiern zum Jubiläum der Universität Bern stattfindende Konzert bildete ein Editionsvorhaben, welches momentan das Institut für Musikwissenschaft beschäftigt. So erschienen im Jahr 1553 beim Berner Drucker Mathias Apiarius vier Stimmbücher – jede Stimme wurde damals einzeln, nicht in Partitur gedruckt – mit Werken des kurz zuvor verstorbenen Cosmas Alder. Dieses so vor der Zerstörung in der Zeit der Reformationswirren gerettete Repertoire wird derzeit von den Mitarbeitern des Instituts für Musikwissenschaft aufbereitet und als Online-Edition neu veröffentlicht. Mit Konzert und Edition soll zum Jubiläum der Universität das fortgesetzt werden, was schon Wannenmacher, Alder und Kotter mit ihren Komposition beabsichtigten: Salve magnificum genus – ein musikalisches Lob auf die Stadt Bern.
Daniel Allenbach schloss 2007 sein Lizentiat in Musikwissenschaft an der Universität Bern ab. Seither ist er als freier Musikwissenschaftler und Dramaturg tätig.