Forschen mit Embryonen? Jein.

Bei der künstlichen Befruchtung entstehen mehrere Embryonen. Nicht alle werden verwendet. Ein Forscher vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin fragte nach, wer diese Embryonen im Frühstadium zur Forschung freigeben würde. Das Resultat spiegelt eine klare Ambivalenz wieder.

Von Bettina Jakob 08. Juli 2009

Welch schwierige Frage: Ein kinderloses Ehepaar unterzieht sich einer künstlichen Befruchtung. Der Frau werden einige Eizellen entnommen, im Reagenzglas werden sie in einer Nährlösung mit gesunden Spermien zusammengebracht. Nach zwei Tagen wird klar, wie viele Eizellen befruchtet wurden – und wie viele schliesslich in die weibliche Gebärmutterhöhle übertragen werden. Überleben zum Beispiel vier, von denen zwei eingepflanzt werden – was soll mit den übrigen geschehen? «Würden Sie die beiden überzähligen Embryonen für die Forschung freigeben?» Das fragte der Psychologe Jürgen Barth vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Bern die Allgemeinbevölkerung. Die Resultate seiner Studie wurden in der Zeitschrift für Medizinische Ethik publiziert – und die Antwort lautet «Jein».

Ferilisation
Die Befragten sich sich einig, dass der Forschung mit Embryonen strikte Grenzen zu setzen seien. Bild: istock.com

Nach wie vor umstritten

Jürgen Barth hat seine Befragung in Deutschland durchgeführt, würde aber in der Schweiz «im Prinzip ähnliche Reaktionen» erwarten, «da diese ethisch schwierigen Fragen weltweit übertragbar sind». Der Forscher wollte herausfinden, was die Leute davon halten, wenn mit Stammzellen aus Embryonen geforscht wird. Die laufende Entwicklung in der Stammzellenforschung verlange eine stetige Auseinandersetzung mit dieser Thematik, obwohl es bereits klare Richtlinien gebe (siehe Kasten).

Wann beginnt das Leben?

Barths Fragebogen wurde von über 400 Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Familienstandes beantwortet. Die wichtigsten Faktoren, welche ein «Pro» oder «Kontra» zur Freigabe von embryonalen Stammzellen für die Wissenschaft beeinflussen, sind gemäss Barth die Religiosität einer Person und die Vorstellung, welche jemand über einen ‹Embryo› hat. «Die Auffassungen, wann denn nun ein menschliches Leben beginnt, variieren in der Allgemeinbevölkerung ganz stark», sagt Barth: Für fast einen Drittel der Befragten ist bereits die befruchtete Eizelle ein menschliches Wesen. Je ein Viertel betrachten die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter beziehungsweise die Ausbildung von Gehirn und Rückenmark als ausschlaggebende Indikatoren; für knapp einen Fünftel liegt erst zu einem späteren Zeitpunkt menschliches Leben vor.

Auch das Forschungsvorhaben scheint für die Einstellung zur Embryonenforschung von Bedeutung zu sein: «Je konkreter das Ziel der Forschung mit dem Ziel der Person zu tun hat, desto zustimmender ist das Urteil», so Barth. So befürwortet eine Frau mit Kinderwunsch die Forschung zur Weiterentwicklung von In- Vitro-Fertilisations-Techniken eher als etwa die Grundlagenforschung von Zellmechanismen. Ein signifikanter Unterschied in den Meinungen über die Embryonen-Forschung zeigt sich bei den Geschlechtern: Frauen haben eine restriktivere Einstellung als Männer.


«Ethisches Dilemma»

«Ein wichtiges Merkmal solch ethischer Fragen ist die Ambivalenz, welche sie hervorrufen», sagt Barth: 37 Prozent der befragten Personen sind der Meinung, dass sich die Vor- und Nachteile der Biomedizin, zu welcher die Stammzellenforschung gehört, die Waage halten. Eindeutig ist die Aussage, dass der Forschung mit Embryonen strikte Grenzen gesetzt werden sollen. Die höchste Ambivalenz bezieht sich auf die gesetzliche Genehmigung für die Forschung mit künstlich erzeugten Embryonen – und auch auf die Verwendung überzähliger Embryonen in der Biomedizin. Es konnte gezeigt werden, so die Forscher, dass ein wesentlicher Teil der Allgemeinbevölkerung hinsichtlich der erfragten Themen hin- und hergerissen sei. «Ein ethisches Dilemma», kommentiert Barth seinen Befund.

Was das Schweizer Gesetz erlaubt

bj. Das Bundesgesetz über die Forschung an embryonalen Stammzellen ist am 19. Dezember 2003 in Kraft getreten. Es lässt zu, unter bestimmten Bedingungen aus menschlichen Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig bleiben können, Stammzellen für die Forschung zu gewinnen. Darüber hinaus dürfen embryonale Stammzell-Linien für die Forschung aus dem Ausland importiert werden. Verboten ist unter anderem, einen Embryo zu Forschungszwecken zu erzeugen, verändernd ins Erbgut eine Keimzelle einzugreifen, einen Klon, eine Chimäre oder einen Hybriden zu bilden. Untersagt ist auch, überzählige Embryonen anders als für die Gewinnung von Stammzellen zu verwenden; ab dem siebten Entwicklungstag des Embryos ist auch dies untersagt. Gegen dieses Bundesgesetz war erfolglos das Referendum ergriffen worden.