Nadja entdeckt die Universität
Erste Physikstunden und eine spontane Wunderheilung in der Tierklinik: Was ein Kind am Fakultätstag der Uni Bern für Erfahrungen macht.
Nadjas erster offizieller Besuch an der Universität Bern beginnt viel versprechend. Mit Seifenblasen nämlich. Beim Eingang zum Gebäude der Exakten Wissenschaften überreicht ihr ein freundlicher älterer Mann das zylindrische Gefäss – mit offiziellem Jubiläumslogo der Universität natürlich. Diese Trophäe wird das Mädchen so schnell nicht mehr aus der Hand geben. Doch an diesem Tag hat die Vierjährige vorerst Wichtigeres zu tun, als Seifenblasen zu erzeugen. Zum ersten Mal in ihrem Leben besucht sie eine Vorlesung: «Phänomenale Phänomene der Physik», steht auf dem Programm. Kindertauglich soll sie auch sein. Wir machen die Probe aufs Exempel. Zumindest die Klappstühle im Hörsaal haben einen gewissen Spassfaktor. Nadja nimmt möglichst weit vorne Platz, damit sie alles gut mitbekommt.
Fast wie die Grossen: Nadja in ihrer ersten Vorlesung. (Bild: Manu Friederich)
Kein frühes Physikgenie
Professor Thomas Stocker erläutert das erste Experiment: Was nämlich genau passiert, wenn man einen «Fünfliber» auf einer Tischplatte kreiseln lässt. Übergross werden die Bewegungen an die Wand projiziert, gleichzeitig werden die dabei entstehenden Geräusche hörbar gemacht. Das Mädchen starrt gebannt nach vorne. Schon regt sich Mutterstolz auf dieses wissenschaftliche Interesse im zarten Alter – doch zu früh: Die Aufmerksamkeit ist von kurzer Dauer. Schon kommt sie, die Frage: «Mama, wann ist fertig?». Noch hat Stocker weitere Experimente auf Lager – doch Nadja ist kaum mehr zu halten. «Ich will zu den Tieren», sagt sie entschieden. Schliesslich hat sie einen Affen mit einem gebrochenen Bein im Gepäck. «Der braucht einen Gips.» Den Gips, hofft sie, erhalte das exotische Tier im Tierspital. Die Mutter hat da ihre leisen Zweifel, aber sie behält diese natürlich für sich.
Auch im Labyrinth der Exakten Wissenschaften gibt’s übrigens noch Tiere zu sehen: Die «parasitischen Wespen und ihre symbiotischen Viren» üben eine Faszination auf Kinder aus, die für Erwachsene – es sei denn sie seien Biologen – nur schwer nachzuvollziehen ist. Nadja ist jedenfalls nicht die einzige, die an diesem Mittag mit einer Mischung von Neugier und Respekt Wespeneier, Raupen, Puppen, Falter und Wespen betrachtet. Berühren tut sie lieber nichts – vielleicht ist dies eine Frucht der jahrelangen Erziehungsbestrebungen: «Nichts anfassen!»
Osterglück und Streichelschweine
Doch jetzt geht’s zielstrebig zu den grossen Tieren im Tierspital. Auf dem Gelände der Vetsuisse-Fakultät herrscht Volksfeststimmung, inklusive Festzelt, Bratwürsten, Wett-Melken und Ponyreiten. Ein Programm für die ganze Familie. Im Pferdestall macht sich schon Osterfreude breit: Im Stroh sind Schokoladen-Eier und Stofftiere versteckt. Nadja hat Glück: Nach kurzer Zeit hält sie einen Stoff-Esel in der Hand. Vor den Ställen wird derweil ein lahmender Gaul «Freddy» vorgeführt. Sämtliche Versuche, das Mädchen für das Pferd zu interessieren (wie heisst doch der Leitspruch von allen kleinen Prinzessinnen? «Das grösste Glück auf Erden liegt auf den Rücken von Pferden»), scheitern. «Ich will zu den Kühen», wiederholt sie zum dritten Mal, auf dass auch ihre begriffsstutzige Mutter endlich reagiere. Also auf zur Nutztierklinik. Hinter dem Gebäude werden einige Tiere in Quarantäne gehalten. Ein Pfleger öffnet eine Box, darin liegt eine sichtlich ermattete Kuh. Anteilnahme macht sich auf Nadjas Gesicht bemerkbar. «Was hat sie?», flüstert sie. Sie hatte einen Kaiserschnitt. «Ihr Baby musste raus geschnitten werden», heisst das in Kindersprache. «Aha.»
Ein Esel für zu Hause, ein Borstenvieh zum Bemitleiden: Nadja in der Schweineklinik. (Bild: atp)
Der Affe bekommt keinen Gips
Völlig unbeeindruckt läuft Nadja weiter, den Esel im Schlepptau. Die Kühe sind abgehakt, weil ein nächstes Thema wichtiger ist: Essen! Ein hungriges Kind lässt sich nicht so leicht ablenken. Trotzdem gelingt es: Mit Schweinen nämlich. In der Schweineklinik werden die verschiedensten Leiden kuriert, Nabelbrüche und Abszesse, Hautkrankheiten und Muskelentzündungen, Brüche und Nervenprobleme. Nebst rekonvaleszenten Schweinen gibt’s dort Ferkel zum Streicheln. Nadjas Respekt vor Vierbeinern scheint beim Borstenvieh langsam zu schmelzen – aber doch nicht ganz. Trotzdem bleibt sie ganz fasziniert stehen und erklärt die Schweine ab sofort zu ihren Lieblingstieren.
Der Affe muss übrigens ohne Gips nach Hause zurückkehren. Nadja hat sich nicht getraut, einen Tierarzt zu fragen, ob er dem Exoten helfen könne. «Er braucht keinen Gips mehr», konstatiert sie. «Er muss nur genug Wasser trinken.» Womit bewiesen wäre: Ein Tag an der Uni schafft Wunder – zumindest wenn man in dem Alter ist, wo man noch an Wunder glaubt.