«Ich bin enttäuscht»

Die internationale Klimakonferenz in Kopenhagen hat ein nur minimales Ergebnis erbracht; verbindliche Ziele wurden keine beschlossen. Umweltorganisationen und betroffene Entwicklungsländer sprechen von einem «katastrophalen Scheitern». Auch der bekannte Berner Klimaphysiker Thomas Stocker hat sich mehr erhofft.

Interview: Marcus Moser 19. Dezember 2009

«uniaktuell»: Thomas Stocker, trotz Verlängerung wurde an der Klimakonferenz von Kopenhagen nur ein unverbindlicher Minimalkonsens erzielt. Der Berg hat eine Maus geboren. Sind sie vom Ergebnis überrascht?
Thomas Stocker: Der weltweite Druck und die Erwartung an die Konferenz waren enorm und sind in den letzten drei Wochen kontinuierlich gestiegen. Die Konferenz hat die Menschen mobilisiert. Ich hatte mir doch einiges mehr erhofft, insbesondere weitere Reduktionsangebote der USA und anderer industrialisierter Staaten, die absolut notwendig sind, um die Erwärmung unter 2°C zu halten. Das hätte dann auch die Tür aufgetan für den grössten Emittenten – China – um einen Fahrplan vorzulegen. Diese wichtigen Schritte sind in Kopenhagen nicht erfolgt – ich bin enttäuscht.

Thomas Stocker
«Mit Warten gehen Optionen verloren»: Thomas Stocker. Bild: AK

Die Erwartungshaltung war hoch, der Zeitpunkt günstig, die wissenschaftlichen Fakten auf dem Tisch und 193 Länder vor Ort. Worauf führen Sie das Scheitern zurück?
Es hat sich ein Graben aufgetan zwischen den Schwellenländern und den industrialisierten Ländern, deren Emissionen für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich sind. Zwar ist der Hilfsfonds für Klimaschäden einigermassen aufgegleist, aber es fragt sich, ob dieser genügt. Die 100 Milliarden Dollar pro Jahr für weltweite Schäden und Massnahmen werden erst für das Jahr 2020 anvisiert und erscheinen klein im Vergleich zu den Zahlen, die zur Bewältigung der Finanzkrise weltweit aufgewendet worden sind.

Der Minimalkonsens besteht vor allem in der Erklärung, die Erwärmung der Erde auf höchstens 2°C begrenzen zu wollen. Verbindliche Ziele zur Reduktion der Treibhausgase wurden indes gestrichen. Damit ist das Ziel doch unerreichbar?
Mit den gegenwärtigen Zusagen wird das Ziel, die Erwärmung unter 2°C zu halten, mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt. Die Hoffnung auf entsprechend stärkere Reduktionen der Emissionen zu einem späteren Zeitpunkt erscheint mir sehr unrealistisch.

In der Erklärung werden unverbindlich länderspezifische Reduktionsziele genannt. Ihre Einschätzung?
Das betrifft einzig die bisherigen Reduktions-Angebote dieser Länder. Der wichtigste Punkt, dass nämlich eine Überprüfung der erfolgten Reduktionen stattfinden soll, und dass diese rechtlich bindend – also sanktionsfähig – sein müssen, ist noch nicht im Dokument.

Wie weiter? Kann die Wissenschaft in dieser Situation helfen?
Die Wissenschaft geht weiter, das Klima verändert sich ebenfalls weiter und diese Veränderung müssen wir verstehen und noch detaillierter in dem künftigen Verlauf abschätzen. Insbesondere hat sich gezeigt, dass Hochrechnungen des möglichen Anstiegs des Meeresspiegels noch sehr unsicher sind und dass die Veränderungen des Niederschlags in den einzelnen Regionen noch genauer eingeschätzt werden müssen. Im Dokument von Kopenhagen wird auch das noch ehrgeizigere Klimaziel von bloss 1.5°C Erwärmung erwähnt - und dass 2015 darüber verhandelt werden soll, ob allenfalls dieses Ziel anvisiert wird. Dann wird der 5. Klimabericht der Arbeitsgruppe «Wissenschaft» vorliegen, dessen Koordination wir hier an der Universität Bern durchführen. Die Frage, was eine Temperatursteigerung um 1.5°C oder 2°C für einzelne Regionen bedeutet, werden wir in diesem Bericht angehen.

Thomas Stocker bei der Feldarbeit auf dem Eis
Thomas Stocker entnimmt Eiskerne zur Analyse des CO2-Gehalts. Bild: Jakob Schwander/Zvg

Welche Schritte fordern Sie nun von der Politik?
Es ist nicht an mir zu fordern, sondern das ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Die Aufgabe der Klimawissenschaft ist es, die Grundlagen für einen rationalen, weitsichtigen Entscheid zu liefern. Als Bürger aber bin ich der Auffassung, dass nun wirklich höchste Zeit ist, sowohl international wie auch national verbindliche Ziele und Emissionsreduktionen zu vereinbaren, so dass das «Klimaziel 2°C» noch zu erreichen ist. Wiederum warten und zögern, beziehungsweise auf Ablenkmanöver und Hinhaltetaktiken einzugehen wie bisher, bedeutet, dass gewisse Optionen nicht mehr zur Auswahl stehen und entsprechend die Konsequenzen getragen werden müssen.

Thomas Stocker

mm. Der renommierte Klimaphysiker ist Mitglied und leitender Autor des UNO-Wissenschaftsrats für den Klimawandel. Das sogenannte IPCC («Intergovernmental Panel on Climate Change») wurde 1988 ins Leben gerufen. Der Uno-Wissenschaftsrat soll die Risiken des Klimawandels untersuchen und Vermeidungsstrategien entwickeln. Inzwischen sind vier Berichte erschienen. An dieser Arbeit sind hunderte von Forschenden aus der ganzen Welt beteiligt. Professor Thomas Stocker leitet die erste Arbeitsgruppe, die sich mit den physikalischen Grundlagen des Klimawandels beschäftigt.

Klimakonferenz Kopenhagen

mm. Im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention findet jährlich eine Konferenz der Vertragsstaaten statt. Das Hauptziel der Klimakonferenzen besteht darin, ein verbindliches Nachfolgeregime für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu entwickeln. Die aktuelle Konferenz fand vom 7. bis 18. Dezember in Kopenhagen statt und brachte trotz eintägiger Verlängerung nur ein minimales Ergebnis.