Indien, Zürich, Bern – live im Hörsaal
Eine interkontinentale Vorlesung in Bern: Das bot das Institut für Wirtschaftsinformatik seinen Studierenden zum Thema «Telekooperation». Die Live-Schaltung fand an der Vetsuisse-Fakultät statt, welche dazu die einzige geeignete Infrastruktur der Uni Bern besitzt.
Und da scheint sie plötzlich flach, die Welt, hier im Grossen Hörsaal der Vetsuisse-Fakultät der Uni Bern. Man realisiert, dass hier Distanzen und Berge schrumpfen. «Die Welt IST flach», sagt Guido Scherer in Anlehnung an das gleichnamige Buch des Amerikaners Thomas L. Friedman über die Globalisierung gleich zu Beginn der Vorlesung. Der Senior Executive von «Accenture», einem weltweit tätigen Managementberatungs- und Technologie-Dienstleister, steht am Rednerpult, über ihm hängt eine riesige Leinwand, auf der sich drei Personen bewegen: Er selbst, ein Mitarbeiter im Hörsaal der Uni Zürich und im dritten Fenster Sailesh Malhotra aus dem IT-Delivery-Zentrum in Bangalore in Indien. Punkt 13 Uhr Schweizer Sommerzeit startet die Live-Videokonferenz im Rahmen der Vorlesung «Telekooperation» an der Universität Bern und einer ähnlichen an der Universität Zürich.

Kommunikation mit Hightech
«Grüessech Bern, Grüezi Züri, hello colleagues in India.» Thomas Myrach, Professor für Wirtschaftinformatik an der Uni Bern und Co-Organisator des Events, begrüsst im Berner Veterinärhörsaal die Kolleginnen und Kollegen, die «im nahen und fernen Osten sitzen zum ambitionierten Unterfangen einer interkontinentalen Gastvorlesung mit Studierenden zweier Universitäten und einem Praxispartner». Myrach will mit dieser aussergewöhnlichen Live-Konferenz gleich zwei Fliegen auf einen Schlag treffen: Erstens möchte er seinen Studierenden einen Eindruck aus erster Hand verschaffen, welche Möglichkeiten die neuen Kommunikationstechnologien bieten und was für Auswirkungen sie auf eine Arbeitssituation haben können. Zweitens soll die Videokonferenz illustrieren, wie Offshore-Kooperationen funktionieren; denn immer häufiger verlagern Firmen infolge des globalen Wettbewerbs ihre Produktion ganz oder teilweise ins Ausland. In ihrem Gastvortrag beleuchteten die «Accenture»-Gastredner Scherer und Malhotra das Potenzial und die Herausforderungen von IT-Offshore-Projekten.
Offshore-Projekte: Das sind die Probleme…
Videokonferenzen sind zwar kein ganz neues Thema. Dennoch werden sie bis heute eher selten praktiziert und bergen auch noch technische Tücken – wie sich nach zwanzig Minuten herausstellt: Sailesh Malhotras Bild bleibt während des Sprechens plötzlich stehen. «Bist Du eingefroren oder bewegst Du Dich nicht mehr, Sailesh», fragt Scherer nach Indien, rhetorisch. «Nein, aber ich dachte soeben auch, ihr seid so ruhig geworden; vielleicht liegt es am Eis und Schnee in der Schweiz», witzelte der Inder nach Bern. Die beiden schienen mit Leichtigkeit zu schaffen, was sich in der komplexen Offshore-Zusammenarbeit aber durchaus schwierig gestalten kann: Nämlich der Umgang mit Arbeitskollegen aus verschiedenen Kulturen.
Dieser ist nicht immer einfach: So erinnert sich Scherer an ein Fondue-Essen mit indischen Mitarbeitenden; diese waren so höflich, nicht abzulehnen, konnten dafür aber am nächsten Morgen wegen Verdauungsstörungen nicht mit der Arbeit beginnen. Der «Accenture»-Senior Executive sprach auch Hindernisse im sprachlichen Bereich, in gesellschaftlichen Gepflogenheiten und in der Arbeitsweise an. «In Indien sind die Strukturen viel hierarchischer als hier in Europa – das muss man lernen und bedenken», so Scherer. Ebenso, wie man erreicht, dass sich eine indische Mitarbeiterin während ihrem vielleicht längeren Aufenthalt in der Schweiz auch wirklich wohl fühlt.

… und das die Vorteile
Inzwischen bewegt sich Sailesh Malhotra wieder auf der Leinwand und die Vorteile von Offshore-Projekten werden erläutert, denn «sie laufen nicht so schlecht, wie ihr Ruf ist», stellt Scherer klar. Der naheliegendste Grund für eine Verlagerung von Aufträgen ins Ausland sind die Kosten. Die billigere Produktion – in diesem Fall bei der Erstellung von IT-Produkten – hilft den westlichen Unternehmen im Geschäft zu bleiben. Gleichzeitig wird aber gemäss Scherer «offshore» eine grosse Zahl an fähigen Mitarbeitenden aus beteiligten Ländern trainiert, so dass die früher oft schwierige Suche «onshore» – also innerhalb eines Landes und innerhalb Europas – nach Top-Leuten einfacher fällt.
Um die Zusammenarbeit in Offshore-Projekten zu vereinfachen, setzt «Accenture» auf Standardisierung: «Die schweizerischen und indischen, die deutschen oder unsere manilischen Mitarbeitenden erhalten die gleiche Ausbildung», erklärt Scherer. Mit einem einfachen Zweck: Damit die Qualität der Produkte überall gleich gewährleistet sei – stammten sie nun aus Banglore oder aus Shanghai. «Somit ist die IT-Branche nicht mehr wie früher Manufaktur sondern eine Industrie», sagt Scherer hinauf in die Berner Ränge und in die Kamera nach Zürich und Bangalore, wo es nun bereits Abend ist.