Lesbische Migrantinnen – wo sind sie?
Sie sind da, aber unsichtbar: In der Lesbenszene werden sie nicht als Migrantinnen wahrgenommen und in ihren Familien nicht als Lesben. Die Berner Geographin Bettina Büchler ermöglicht mit ihrer Studie einen Blick in herausfordernde Leben lesbischer Migrantinnen in der Schweiz.
«Weiss und westeuropäisch.» So kam ihr der Teil der Lesbenszene vor, in der sie sich selbst bewegte. Die Berner Geographin Bettina Büchler fragte sich, welche sozialen Mechanismen hier am Werk sind, dass hier so wenige Frauen aus anderen Kulturen zu finden sind. Sie erforscht im Rahmen eines Nationalfondsprojektes Migrationsgeschichten und Alltagsräume lesbischer Migrantinnen in der Schweiz. Büchler hat sie gefunden, die Frauen liebenden Malayerinnen, Ägypterinnen und Kubanerinnen, die hierzulande leben: «Sie sind da, aber meistens werden sie in der Lesbenszene entweder nicht als Migrantinnen wahrgenommen, oder sie bewegen sich gar nicht in dieser Szene. Gleichzeitig zeigen sich viele in ihrer migrantischen Community und in ihren Familien nicht als Lesben – was sie auch dort unsichtbar macht», so Büchler. «Sie leben mit ganz unterschiedlichen Lebenskonzepten, und sie sind auch aus sehr unterschiedlichen Gründen in die Schweiz gekommen».

Eher Lesbe als Migrantin
Die eine kommt aufgrund ihres Studiums in die Schweiz. Oder weil sie sich in ihrem Herkunftsland politisch eingeschränkt fühlt. Eine andere reist her, um in der Schweiz, die sich gemäss Büchler gern als schwulen- und lesbenfreundliches Land positioniert, frei ihre Sexualität oder ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft leben zu können. «Oft ist es so, dass sich etwa eine Frauen liebende Argentinierin eher als Lesbe denn als Argentinierin in der Schweiz bewegt», erklärt Büchler. Die Migrantinnen, die sie befragt hat, richteten ihr Schweizer Leben und ihr soziales Netz also eher nach ihrer sexuellen Orientierung aus als nach ihrer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit. So ist die fragliche Argentinierin öfters mit anderen Lesben unterwegs als mit ihren Landsleuten.
Fehlende Angebote
«Lesbische Migrantinnen können hier jedoch kaum jemals ihre Ganzheit ausleben», weist Bettina Büchler auf die Problematik fehlender Angebote wie Treffs und Beratungsstellen für betroffene Frauen hin: Entweder bewegt man sich eben als Argentinierin, oder man bewegt sich als Lesbe. «Aber beide Aspekte der Persönlichkeit gleichzeitig leben – dafür gibt es kaum Möglichkeiten.» Entsprechend ist sie bei ihren 30 Forschungsteilnehmerinnen häufig auf den – oft unerfüllten – Wunsch nach offenen und toleranten Räumen gestossen, «in welchen man nicht in die eine oder die andere Schublade passen muss».
Outing in der Schweiz
Ein weiterer Grund für die Abwesenheit in den Szenenlokalen ist
der folgende: Viele lesbische Migrantinnen durchlaufen gemäss Büchler den Prozess des Outings erst in der Schweiz. «In vielen Herkunftsländern ist die Frauenliebe wörtlich undenkbar, sie wird ausgeblendet», so die Berner Forscherin, «ganz anders als die schwule Liebe, die meist öffentlicher ist». Viele Frauen liebende Frauen verstünden sich entsprechend bei ihrer Einreise nicht als Lesben, und bei vielen bleibe das auch so.
Nicht zuletzt wirken sich auch persönliche Erlebnisse oder bereits erfahrene Stigmatisierungen auf dieses Selbstverständnis aus – und zwar sowohl in ihrem Herkunftsland wie auch in der Schweiz: «Auch hierzulande haben wir in vielen Gegenden und sozialen Kontexten eine anhaltende Homophobie», so Büchler, betont aber, dass «die Schweiz im Vergleich mit vielen Ländern natürlich gut dasteht, denn in 80 Ländern ist Homosexualität explizit illegal – in sieben davon wird sie mit der Todesstrafe geahndet». Dennoch wünscht sich die Geografin gerade in Schweizer Homosexuellen- und Migrantinnenkreisen und in der Migrationspolitik «mehr Gespür für die Bedürfnisse Frauen liebender Migrantinnen».