Online-Hilfe bei Kinderwunsch
Immer mehr Paare bleiben kinderlos. Das kann die Betroffenen in eine grosse Krise stürzen. Das erste deutschsprachige Web-Programm soll Hilfe leisten. Entwickelt wurde das «Online Coaching» von Berner Psychologen.
Wieder einen Monat warten. Wieder wird er zu einer kleinen Ewigkeit. Hat es geklappt? Oder wieder nicht? «Ungewollte Kinderlosigkeit wird von vielen betroffenen Paaren als die schlimmste Krise in ihrem Leben erlebt.» Der Einstiegssatz auf der Homepage macht Ziel und Zweck dieses Internet-Programms klar: Mit dem neuen «Online-Coaching» wollen Berner Psychotherapeutinnen und -therapeuten Paaren zur Seite stehen, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen. Es ist das erste deutschsprachige Selbsthilfeprogramm im Internet. In einer vorgängigen Studie mit 124 Teilnehmenden haben die Forschenden der Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie die Wirksamkeit ihres Angebots bewiesen: «Männer und Frauen, denen es aufgrund der Kinderlosigkeit psychisch schlecht ging, wiesen nach dem Programm weniger depressive Symptome auf», sagt Projektleiterin Katja Hämmerli.

Die Online-Hilfe garantiere sicher keine Schwangerschaft, aber es gebe Hinweise darauf, dass das psychische Befinden einen Einfluss auf die Schwangerschaftschancen haben könnte. «Auf jeden Fall hilft unser Coaching, einen zuversichtlicheren, stressfreieren Umgang mit der schwierigen Situation zu finden», so Hämmerli. Ab sofort ist das Programm online.
Der Vorteil der Anonymität
Die Zahl der ungewollt kinderlosen Paare liegt weltweit bei 10 bis 15 Prozent. Jede dritte Frau mit Kinderwunsch wartet länger als ein Jahr auf eine Schwangerschaft, und etwa die Hälfte der Betroffenen unterzieht sich gemäss Hämmerli einer medizinischen Behandlung wie etwa einer Insemination oder einer künstlichen Befruchtung. «Gerade während diesen emotional und auch finanziell aufwändigen Eingriffen liegen die Nerven oftmals blank», so die Psychologin. Aus diesem Grund hatte das Psychologen-Team um Professor Hansjörg Znoj die Studie um das Selbsthilfeprogramm im Web aufgesetzt, die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wurde. Katja Hämmerli sieht darin gegenüber einer Face-to-Face-Therapie einige Vorzüge: «Das Online-Coaching kann anonym absolviert werden, die Betroffenen müssen sich nicht ungewollt vor anderen Personen outen.» Denn noch heute sei mit Infertilität gesellschaftlich oftmals eine Stigmatisierung verbunden, so Hämmerli: Das Selbstwertgefühl der Betroffenen sackt in den Keller.

Stets Kontakt zur Psychologin
Kommt die Krise mitten in der Nacht, kommt der nächste Vorzug des Berner Hilfeprogramms zu tragen: seine ständige Verfügbarkeit. Drehen die Gedanken wirre Endlosschlaufen, kann die Qual per Mausklick womöglich gelindert werden. Sei es durch die Lektüre und interaktive Vertiefung eines der dreizehn Module – etwa der «Reflexion seines Kinderwunsches» oder dem «Umgang mit schwierigen Gefühlen». Oder durch angeleitete Entspannungsmethoden oder durch den Austausch mit anderen Betroffenen in einem der angegliederten Foren. «Das Online-Coaching ist eine Mischung zwischen Selbsthilfeprogramm und psychotherapeutischen Sitzungen», erklärt Katja Hämmerli: Denn die Auseinandersetzung mit den Problemen erfolgt zwar alleine zu Hause, jedoch erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wöchentlich eine Rückmeldung von einer Psychologin zu ihren niedergeschriebenen Gedanken. Die Fachleute können in der Not auch direkt angeschrieben werden. «Wir antworten innert zwei, drei Tagen», betont Hämmerli.
Zehn Wochen Online-Hilfe
Das Programm dauert zehn Wochen, der Ablauf kann individuell festgelegt werden. «Wir rechnen damit, dass die Betroffenen rund zwei Stunden pro Woche investieren», so Hämmerli. Kostenlos ist das Angebot nicht. Mit 182 Franken ist man aber über die Wochen fachmännisch betreut und profitiert vom bewährten Coaching-Wissen der Berner Psychologinnen und Psychologen. «80 Prozent der Teilnehmenden der vorgängigen Studie sind mit dem Programm sehr zufrieden», fasst Hämmerli zusammen – ob sie nun schwanger wurden, oder (noch) nicht. Eine Studienteilnehmerin schrieb etwa folgenden Kommentar: «Ich irrte nicht mehr in meiner Gedankenwelt umher.»