Praktische Hilfe für «Stalking»-Opfer
Er steht wieder an der Hausecke und hinter dem Regal im Kaufhaus. Das Telefon läutet und läutet. Die unerwünschte Verfolgung kann grosse Angst machen. Der Forensisch-Psychiatrische Dienst der Uni Bern bietet jetzt einen Kurs für «Stalking»-Opfer an.
«Auf die Jagd gehen, sich anschleichen.» Das sind nach Wörterbuch die Übersetzungen von «to stalk». Und genau so gehen sie vor, die Stalker: Sie lungern vor dem Haus herum, stellen einem heimlich auf dem Arbeitsweg nach. «Sie schreiben Briefe, Mails oder SMS, rufen spätnachts wieder und wieder an», sagt Angela Guldimann vom Forensisch-Psychiatrischen Dienst der Uni Bern. «Für die Opfer ist eine solche Verfolgung sehr belastend», so die Psychologin, «der Stress kann etwa Angstgefühle, Ess- und Schlafstörungen auslösen». Um die Betroffenen – in 85 Prozent der Fälle sind dies Frauen – zu unterstützen, bietet der Dienst neu eine Anlaufstelle für Stalking-Opfer an, ein einzigartiges Angebot im Kanton Bern. Betroffene können einen Kurs besuchen, der «nicht eine Psychotherapie, aber Unterstützung bieten soll», wie die Dienst-Leiterin Anneliese Ermer klarstellt. Der erste Kurs ist im Gang, und die vier Teilnehmerinnen fühlen sich gemäss Guldimann besser, «auch nicht mehr so alleine mit ihren Problemen».

Ein achtteiliger Kurs bietet Hilfe
Die Betroffenen erhalten in acht Gruppensitzungen konkrete Hilfe: Sie lernen Wissenwertes über die Beweggründe für das «Stalking» kennen, bekommen Tipps für den korrekten Umgang mit dem Verfolger – etwa wie wichtig das konsequente Ignorieren ist, «denn reagiert man beim 10. Mal, lernt der Stalker, dass er einfach genug lange dran bleiben muss, um sein Ziel zu erreichen und macht weiter», so Guldimann. Die Frauen erlernen Entspannungstechniken, üben Kniffs für positives Denken und sie sollen ein unverzerrtes Selbstbild zurückerhalten: «Viele Betroffene haben Schuldgefühle, dass es soweit gekommen ist», erklärt die Psychologin. Die Nachfrage ist gross, es werden bereits Wartelisten für die nächsten Kurse im kommenden Winter geführt.
1 von 10 wurde schon gestalkt
Die Stalking-Anlaufstelle ist aber mehr als eine Dienstleistung des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes. Die Erkenntnisse aus den Gesprächen und persönlichen Geschichten fliessen in Angela Guldimanns Forschung ein. Forschung, die «wichtig ist, denn es gibt in der Schweiz noch kaum Studien über Stalker und ihre Opfer», so die Forscherin. Dabei geben in Umfragen in Deutschland 11 Prozent der Befragten an, bereits mindestens einmal gestalkt worden zu sein. Für Guldimann ist diese Zahl alarmierend, denn aus ihrer eigenen Liz-Arbeit, für die sie strafrechtliche Gutachten ausgewertet hat, weiss sie, dass Stalking ein Vorbote schwerer Gewalttaten sein kann: In den allermeisten Stalking-Fällen sind Ex-Partner involviert, und eine repräsentative Studie aus Deutschland zeigt gemäss Guldimann, dass 30 Prozent der Stalking-Opfer physisch und/oder sexuell angegriffen wurden, obwohl schwere Gewalttaten beim Stalking eher selten sind. Drohungen seien aber in jedem Fall ernst zu nehmen.
Eine narzisstische Problematik
Denn neben wahnhaften Liebesbeteuerungen drohen Stalker in ihren Botschaften nicht selten mit Gewalt: «Welche Strategie auch immer ein Stalker wählt, Stalking ist Ausdruck des Nichtbewältigens eines Beziehungsendes oder einer Lebenssituation», erklärt Psychiaterin Anneliese Ermer. Dieser «inadäquaten Handlung» zugrunde lägen oftmals die Unsicherheit einer Person, möglicherweise eine narzisstische Problematik oder auch ein fehlendes vorbildliches Verhalten in der Kinderstube. Den typischen Stalker gibt es jedoch nicht, man erkennt ihn auch nicht auf Anhieb, «nicht wenige erscheinen anfangs freundlich und unauffällig, bis man merkt, dass etwas nicht stimmt», so Guldimann. Man weiss, dass deutlich mehr Männer stalken. Und die Beweggründe für das Stalking sei bei Frau und Mann laut Guldimann oft verschieden: «Männer wollen eine zerbrochene Beziehung wiederherstellen, Frauen verfolgen häufig jemanden, mit dem sie neu eine Beziehung eingehen möchten.»
Weiterführende Informationen
Über das «Stalking»
zvg/bj. Der Begriff «Stalking» trat ab den 1980er Jahren in den USA vor allem in Verbindung mit der obsessiven Verfolgung von Prominenten durch fanatische Fans auf. Anfang der 1990er Jahre wurde Stalking zunehmend auch als ein Problem von Durchschnittsbürgern wahrgenommen. Da Stalking sehr unterschiedliche Verhaltensweisen umfasst, existiert keine alles umfassende Definition. Gemeinsam ist allen Definitionsversuchen, dass der Stalker über einen längeren Zeitraum (mindestens zwei Wochen lang) wiederholt Kontakt zu einer bestimmten Person sucht. Entscheidend ist dabei, dass das Stalkingopfer keinen Kontakt zum Stalker haben will und aufgrund dieses belästigenden Verhaltens Angst bekommt.