Wenn Realität und Illusion verschmelzen
Theater im klassischen Sinne vergessen und in eine neue Welt eintauchen: Mit dem SUB-Projekt «heliade im bisenthal» betritt Claudia Schmid, die Autorin des Stücks, eine ungewöhnliche Bühne. Bei dieser Inszenierung gibt es nämlich keine festgelegten Zuschauerplätze und keine Bühnenbegrenzung.
Wie und wo entsteht die Idee, ein Theaterstück mit dem mysteriösen Namen «heliade im bisental oder die ver_bannung von wenn im ma von rosa und alex» zu schreiben? Die Berner Theaterwissenschafts- und Kunstgeschichtsstudentin Claudia Schmid verbrachte ein Jahr in Berlin, wo tausende Eindrücke und Erlebnisse auf sie einprasselten. Immer ein Notizbuch zur Hand, hielt die Autorin darin Begegnungen und Wahrnehmungen, Alltagsgesprächsfetzen und wissenschaftliche Aussagen, Fragen an die Menschheit oder an die Existenz fest. Daraus entstand die Idee für ein performatives Theaterstück. In nur 72 Stunden fasste sie das Sammelsurium aller Notizbucheinträge zu einem 48 Seiten langen Werk zusammen. An unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten zusammengefügt, ist das Stück ein nie abgeschlossener Prozess, sondern entwickelt sich ständig weiter.

Die Tränen der «Heliade»
Wer ist diese «Heliade»? Wo liegt das «Bisental»? Und was bedeutet etwa das Wort «ma»? Diese Fragen werden Claudia Schmid regelmässig gestellt. Die einzelnen Wörter bergen Spannendes: In seinen «Metamorphosen» erzählt der römische Dichter Ovid die Geschichte der «Heliaden». Sie sind die Töchter des Helios, des griechischen Sonnengottes, die ohne Erlaubnis des Vaters den Sonnenwagen ihres Bruders anspannten, mit dem er dann abstürzte und starb. Als Strafe dafür wurden die Heliaden in Pappeln verwandelt. Aus ihren Tränen entstanden Harz und Bernstein.
Das Biesental ist ein Tal in der Nähe von Berlin. Ohne das «e» entsteht daraus der Name für ein Wunderland – ein Land für verschiedene Zeiten, Orte und Paläste. Das aus dem Mandarin entlehnte Wort «ma» bezeichnet das «Dazwischen», ein Platz, der sich weder drinnen noch draussen befindet. Mit «Rosa» und «Alex» sind zwei Berliner Orte gemein: Der Alexanderplatz und der Rosa von Luxemburg-Platz. Dort befindet sich auch die Volksbühne, ein Ort des Zusammentreffens am runden Tisch, wo die Gedanken kreisen können. Spricht man den Titel des Stücks aus, sind der Autorin die Verschmelzung der Wörter und deren Ursprung – die Ursprache – wichtig.
Die sieben tanzenden Fragen
Nicht auf einer Bühne, sondern mitten in einer Werkstatt steht die Tänzerin «Heliade». Sie stellt unter anderem Fantasie, Sehnsucht und Hoffnung dar. Um sie herum kreisen sieben Schauspieler und Schauspielerinnen, die alle eine spezifische Frage über Sinn und die Weltverkörpern. «Die Tänzerin und die sieben Fragen bilden eine Einheit», so Schmid. Bei der Darstellung des Stücks herrscht also keine Theatersituation im herkömmlichen Sinne und die Zuschauer nehmen nicht auf einem Stuhl in festgelegten Reihen Platz, sondern können sich im Raum frei bewegen. So können sie auch den Rhythmus der Schauspieler aufnehmen. «Dieser Rhythmus bildet die Grundstruktur, denn alles ist im Rhythmus, besonders im Theater», sagt Schmid. Dieser unterscheidet sich von dem der Alltagssituation und macht durch Brüche die Theatersituation einzigartig – und soll den Weg auf die andere Seite des Spiegels eröffnen.
Alles ist im Fluss
Die sieben Sequenzen des Stücks bilden eine Referenz auf die im Stück personifizierten sieben Fragen. Elemente, wie Musik, Tanz, Film, aber auch Erstarrung finden ihren Platz in Schmids Stück. Die vier unterschiedlichen Bühnenräume, die miteinander verbunden sind, lassen eine natürliche Situation entstehen. Die gängigen Normen und Muster sollen aufgelöst werden und einen Perspektivenwechsel verschaffen. Nach dem Motto: Die Handlung ist das Ziel, der Prozess bestimmt den Weg.