Berner Bescheidenheit: Kein Prunk und Pomp
Luxus im mittelalterlichen Bern: Daniel Gutscher, Leiter des archäologischen Dienstes des Kantons Bern, machte sich auf die Suche nach frühen Berner Luxusgütern. An einem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung des Berner Mittelalter Zentrums hat er seine Erkenntnisse vorgestellt.
Berner Luxusgüter aus dem Mittelalter sind ausserordentlich spärlich überliefert. Dieser Befund wirft Fragen auf, galt Bern im 15. Jahrhundert doch als die reichste Stadtrepublik nördlich der Alpen und nach dem glorreichen Sieg gegen die Burgunder unter Karl dem Kühnen als politisches Schwergewicht. Muss von einer Forschungslücke ausgegangen werden? Haben die Berner Archäologen schlicht an den «falschen» Stellen gegraben?
Fundarmut ohne Kloaken
Grund für die dünne archäologische Überlieferung von Luxuriösem sind andere, für Bern charakteristische Faktoren: Bern hatte keinen Hochadel, der an seinen Höfen und Burgen hätte Glanz und Pomp zelebrieren können. Ausserdem war Bern während des ganzen Mittelalters ein Agrarstaat. Die Obrigkeit schränkte den freien Handel stark ein – das Geschäft mit Kulturgütern fiel gering aus. Entsprechend rar waren Importartikel, was wiederum die Verbreitung von Luxus und neuen Trends in Bern hemmte. Und schliesslich kannte Bern keine Latrinen-Gruben. Diese hätten ideale Konservierungs-Bedingungen geboten, erläuterte Daniel Gutscher: «Im sauerstoffarmen bis -losen Morast erhalten sich organische Materialien wie Textilien und Holz herausragend.» In Bern hingegen wurden sowohl Fäkalien wie auch zerbrochene Teller und Becher – aus heutiger Sicht Kulturgut – im Stadtbach entsorgt. Der Bach transportierte die Gegenstände in die Aare, wo sie für die Nachwelt für immer verloren gingen. «Damit erklärt sich die generelle Fundarmut in Städten ohne Kloakengruben», so Gutscher. Überreste von Luxusgütern sind dann – aus archäologischer Sicht sehr bedauerlich – kaum nachweisbar.
Zweckgebundene statt verspielte Architektur
Auch die Architektur bot wenig Extravagantes, aus der Reihe Tanzendes: Schlichte Zeilen prägten das architektonische Bild Berns im Mittelalter. Das Stadtbürgerhaus unterschied sich äusserlich kaum vom Handwerkerhaus. «Architektonische Ausreisser gab es nicht», erklärte Daniel Gutscher. Mit zwei Ausnahmen: Das Münster mit seinem repräsentativen Bau und das schmucke Stadtpalais von Bartlome May an der Münstergasse 62. Der reichste Berner seiner Zeit legte zwei Liegenschaften zusammen und errichtete einen für damalige Verhältnisse einmaligen und reich verzierten Erkerturm, der noch heute zu bestaunen ist. «Hier wird baulicher Luxus fassbar», erklärte Gutscher. Dennoch: Die Architektur war in erster Linie zweckgebunden und innerstädtischer Freiraum hatte eine reine Nutz-Funktion – für den Markt oder den Friedhof etwa.
Kleider machen Leute
Auch mittelalterliche Bernerinnen und Berner waren eitel und legten Wert auf soziale Abgrenzung. Ihr Reichtum und hoher Sozialstatus widerspiegelte sich in der Kleidung. Als sich der Bernische Rat aufmachte, die Standesprivilegien des städtischen Patriziats anzutasten, verbot er den Damen das Tragen von Schnabelschuhen und langen Schleppen. «Diese Art, sich zu kleiden, wurde von bürgerlicher Seite her als ausschweifender Luxus betrachtet», erklärte Gutscher. In den Augen des Adels jedoch ein Affront, der zu einem kleinen Aufstand führte: Die Damen widersetzten sich dem Verbot und schritten demonstrativ mit Schnabelschuhen und Schleppen ins Münster zur sonntäglichen Hauptmesse. Sie erklärten, es handle sich nicht um Luxus. Vielmehr seien sie an Werktagen, an denen sie keine seidenen und goldenen Kleider trügen, auf repräsentative Kleider angewiesen, um sich von den unteren Schichten zu unterscheiden. Es brauchte nicht viel, sich sozial abzugrenzen: Die Selbstdarstellung war bereits mit bescheidenen Mitteln möglich.
Das Beispiel der aufmüpfigen Damen zeigt: Was als Luxus bezeichnet wird, ist oft abhängig von der Definition. Und Luxus kennt unzählige Variationen – je nach Stadt, Gesellschaft und Land.
Bescheiden und genügsam
Der Umgang der Bernerinnen und Berner mit Luxus lässt sich hervorragend mit der nach dem Sieg über Karl den Kühnen nach Bern gebrachten Burgunderbeute illustrieren. Sie bescherte der Stadt über Nacht grossen Reichtum. Bezeichnenderweise waren hauptsächlich die Machtinsignien von Interesse: der Regierungsstuhl Karls oder sein Schwert. Die Luxusgegenstände hingegen wurden veräussert oder an Fürsten verschenkt.
Weiterführender Link
daf. Die aktuelle Ringvorlesung des Berner Mittelalter Zentrums (BMZ) befasst sich mit dem Thema «Luxus und Luxuria». Die Veranstaltungen finden jeweils donnerstags um 17.15-18.45 Uhr im Hauptgebäude statt.