Die Chemie und das Ich

Kleinste Moleküle regeln in unserem Gehirn das Denken, Fühlen, Lernen. Der Berner Chemiker Martin Lochner erläuterte in der Reihe «BioChemie am Samstag» den Brainstorm der Moleküle im Kopf.

Von Bettina Jakob 06. September 2010

Sie sind die kleinen, eifrigen Boten unseres Bewusstseins: Winzige, chemische Teilchen in unserem Gehirn sorgen dafür, dass wir den Arm heben können, den Himmel als blau sehen, dass wir uns an das wohltuende Bad im Meer erinnern, aber auch Algebra lernen können und dass wir uns fühlen, wie wir uns fühlen – traurig, wütend, glücklich. Die so genannten Neurotransmitter sind Botenstoffe, die Impulse von der einen Nervenzelle zur anderen weitergeben. Sie sind Teil des komplexen Organs Gehirn, welches unser Denken, Verhalten, die Integration unserer Sinne, das Gedächtnis und die vegetativen Abläufe des Organismus steuert. Der Chemiker Martin Lochner erläuterte im ersten Vortrag der Reihe «BioChemie am Samstag» die Chemie unter der Schädeldecke.


Nervenzellen im Netzwerk: Die leuchtenden Andockstellen sind die Synapsen, welche Botenstoffe freisetzen. (Bild: istock.com)

Ausgeklügelte Signal-Übermittlung

Ein menschliches Gehirn wiegt 1,3 Kilogramm, umfasst 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die über rund 100 Billiarden Kontaktstellen (Synapsen) miteinander verbunden sind: «Diese Verschaltungen bilden ein nicht hierarchisches, riesiges Netzwerk, das sich fortlaufend plastisch verändern kann», so Lochner. Innerhalb einer Nervenzelle werden die Impulse über geladene Ionen elektrisch weitergegeben, von Zelle zu Zelle werden sie in chemische Signale verwandelt – die kleinen Neurotransmitter-Moleküle werden ausgeschüttet und rufen in der Nachbarzelle die gewünschte Reaktion hervor.

Lochner erklärt den chemischen Prozess: Die verschiedenen Neurotransmitter wie Adrenalin oder Serotonin docken durch ihre unterschiedliche 3-D-Struktur nur an gewissen Stellen der Nachbarzelle, den spezifischen Rezeptoren, an. Passt ein Molekül in einen Rezeptor, öffnet sich nach dem Schlüssel-Loch-Prinzip ein kleiner Kanal in die Nachbarzelle, durch welchen geladene Ionen in die Zelle hineinströmen und dort wieder einen elektrischen Impuls aufbauen können. Durch diese effiziente Übermittlungsstrategie kann das Gehirn in Millisekunden Signale weitergeben, verarbeiten und eine Reaktion veranlassen.


Höchste 3-D-Komplexität: Ein Neurotransmitter-Teilchen (oben links) und seine Andockstelle, der Rezeptor. (Grafik: zvg)

Traurigkeit als Stoffwechsel-Störung

Serotonin, Adrenalin, Histamin, Dopamin – die Neurotransmitter rufen verschiedene Effekte hervor. Ist die Übermittlung fehlerhaft, treten Krankheiten auf, wie Martin Lochner am Beispiel Parkinson erklärt: Durch einen vermehrten Zelltod im Mittelhirn wird weniger Dopamin produziert, und durch diesen Neurotransmitter-Mangel entstehen Zitterlähmung und Muskelstarre. Die Symptome lassen sich mit künstlichem Dopamin wenigstens zum Teil lindern.

Ebenso sind Depressionen und ihre Symptome der Niedergeschlagenheit und Traurigkeit auf eine Stoffwechselstörung im Gehirn zurückzuführen. Auch hier hat die Neuropharmakologie Medikamente entwickelt. «Verschiedene Antidepressiva greifen in den chemischen Prozess im Gehirn ein. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass Neurotransmitter wie etwa das Serotonin nicht zu schnell von den Rezeptoren aufgenommen werden. Verbleiben die kleinen Serotonin-Moleküle nämlich länger im synaptischen Spalt zwischen den Hirnzellen, fühlt sich der Mensch besser und glücklicher.

Die Nadel im Heuhaufen

Ein Arzneimittel, in Pillenform schnell geschluckt, hat aber einen langen Weg hinter sich: «Eine Molekülstruktur zu entwickeln, damit sie so genau wie möglich an eine Bindungsstelle einer Zelle passt und dort den gewünschten Effekt – möglichst ohne Nebenwirkungen – auslöst, ist wie Fischen in einem grossen See von hochkomplexen chemischen Kleinststrukturen», so Martin Lochner.