Chancen wahrnehmen, Risiken eindämmen

Die Bundesämter für Gesundheit und Umwelt publizieren ein Vorsorgeraster für den industriellen Umgang mit synthetischen Nanomaterialien. «Ein wichtiger Schritt», findet Peter Gehr, Professor für Anatomie an der Universität Bern. «Nur so können wir Chancen nutzen und Risiken minimieren.»

Von Marcus Moser 25. März 2010

Die Schweiz spielt eine führende Rolle in der Nanotechnologie. Gemäss «Swiss Nanotech Report 2010» gehört sie zu den innovativsten Ländern in diesem Bereich. Die Nanotechnologie befasst sich mit Strukturen, die typischerweise zwischen 1 und 100 Nanometer «gross» sind. Besonderheit dieser Zwerge: Nanoteilchen verfügen über eine im Verhältnis zur Masse sehr grosse Oberfläche. Je grösser die Oberfläche, desto grösser die Kontaktfläche, die mit der Umgebung reagieren kann. Chemische Reaktionen können bei Nanoteilchen deshalb stärker oder anders ausfallen als bei grösseren Partikeln. Darin liegen die spezifischen Chancen, aber auch die möglichen Gefahren dieser Zukunftstechnologie. Der Bundesrat hat im April 2008 einen Aktionsplan genehmigt, mit dem dieser ambivalenten Situation begegnet werden soll. Das aktuell präsentierte Vorsorgeraster für die industrielle Anwendung ist ein weiterer Schritt. Parallel dazu soll mit dem Nationalen Forschungsprogramm NFP 64 auch das Wissen im Bereich der synthetischen Nanomaterialien vergrössert werden. Prof. Peter Gehr vom Institut für Anatomie ist Präsident der Leitungsgruppe des Forschungsprogramms. «uniaktuell» hat ihn zum Stellenwert des neuen «Vorsorgerasters» befragt.

Foto von Peter Gehr
Professor Peter Gehr will mit dem Nationalen Forschungsprogramm Lücken im gegenwärtigen Wissen über Nanomaterialien schliessen. Bild: mm

«uniaktuell»: Peter Gehr, was soll mit dem Vorsorgeraster erreicht werden?
Peter Gehr: Es geht um Sicherheit im Umgang mit Nanomaterialien. Gestützt auf das Vorsorgeraster sollen industrielle Hersteller Produkte und Prozesse analysieren können: Sind überhaupt Nanomaterialien involviert? Wenn ja, welche? Und was bedeutet dies für die Herstellung? Das Vorsorgeraster hilft der Industrie, ein gutes Verhalten im Umgang mit Nanomaterialien zu etablierten. Nur so können wir Chancen nutzen und Risiken minimieren.

Es geht also um die Arbeitssicherheit in der Industrie?
Ja, um die Sicherheit von der Herstellung bis hin zur Entsorgung.

Was weiss man über die Risiken synthetischer Nanomaterialien?
Recht wenig. Geht es darum, Risiken einzuschätzen, behilft man sich häufig mit Ableitungen aus der Wirkung von Nanopartikeln aus Verbrennungsprozessen oder vergleicht mit Feinstaub und seinen Folgen. Doch wir wollen es genauer wissen, weshalb auch das Nationale Forschungsprogramm initiiert wurde. Generell haben Nanopartikel die Fähigkeit, die Luft-Blut-Gewebeschranke zu überwinden. Das können grössere Partikel nicht. Nanopartikel können auf dem Blutweg an jede Stelle des Körpers gelangen und dort mit zellulären Strukturen interagieren. Nur: Was das für Folgen hat, wissen wir eben kaum.

Visualisierung von Nanopartikeln auf roten Blutkörperchen
Zwerge sichtbar gemacht: Die grünen Flecken sind Nanopartikel auf roten Blutkörperchen. Bild: PD Barbara Rothen

Die Anwendung des eidgenössischen Vorsorgerasters ist für die herstellende Industrie freiwillig. Das tönt unverbindlich.
Ist es im Ergebnis aber nicht. Zwar stimmt es, dass wir auf der faktischen Ebene noch zu wenig wissen, um Gesetze zur Regelung einzusetzen. Andererseits hat die Industrie aber ein ureigenes Interesse an einem korrekten Umgang mit Nanomaterialien. Das Vorsorgeraster hat in meinen Augen das Potential, zu einem Merkmal der Qualitätssicherung im gesamten Herstellungsprozess zu werden. Und damit letztlich zu einem Verkaufsargument. In der Vorbereitungsphase lief die Zusammenarbeit mit der Industrie sehr gut.

Wird das Vorsorgeraster neuen Erkenntnissen – zum Beispiel aus dem Nationalen Forschungsprogramms 64 – jeweils angepasst?
Das ist ein erklärtes Ziel. Wie würden Sie die Stimmung der Bevölkerung gegenüber dieser Schlüsseltechnologie einschätzen?
Im grossen Ganzen als indifferent. Die Vereinigungen der Konsumentinnen und Konsumenten sind zurückhaltend-kritisch. Häufig ist «Nano» ein Verkaufsargument; ein Kleinwagen heisst ja zum Beispiel so. Die Leute sind fasziniert vom breiten Anwendungsspektrum für Nanomaterialien – genau so wie die Wissenschaft. Der Kenntnisstand in der breiten Bevölkerung ist allerdings eher gering. Hier ist es für uns Wissenschaftler wichtig, immer wieder das Gespräch zu suchen.

Weiterführende Informationen

«Chancen und Risiken von Nanomaterialien»

mm. Das Nationale Forschungsprogramm «Chancen und Risiken von Nanomaterialien» (NFP 64) soll die Lücken im gegenwärtigen Wissen über Nanomaterialien schliessen. Die mit der Produktion, dem Gebrauch und der Entsorgung von Nanomaterialen verbundenen Chancen und Risiken für Mensch und Umwelt sollen besser verstanden werden. Die Forschungsprojekte beginnen im Dezember 2010.