Clevere Ureinwohner zähmten den Dschungel
Lange bevor der erste Europäer seinen Fuss auf amerikanischen Boden setzte, bevölkerten Menschen mit einer überraschend fortschrittlichen Lebensweise das Amazonasgebiet im heutigen Bolivien. Dies zeigen laufende Untersuchungen am Geographischen Institut der Universität Bern.
Heiss, feucht, unwirtlich – das bolivianische Tiefland Moxos ist ein alles andere als lebensfreundlicher Fleck Erde. Und doch war die Savannenlandschaft schon vor Jahrhunderten dicht besiedelt. Die Menschen bauten eine komplexe Infrastruktur mit Kanälen, Erdhügeln und Waldinseln, um in der schwierig zu bewirtschaftenden Gegend überleben zu können. Eine Berner Forschungsgruppe um Geograph Heinz Veit erarbeitet erstmals ein systematisches Inventar dieser Relikte, die über ein 60 mal 70 Kilometer grosses Gebiet verteilt sind. Mit Satellitenaufnahmen, Feldarbeit und einer Computersoftware werden die Landschaftselemente identifiziert und kartiert.
Die geoarchäologische Analyse von Bodenproben im Labor in Bern gibt Aufschluss über die Entstehung: «Es sind nicht natürliche Prozesse, sondern es ist menschliche Arbeitskraft, die hinter diesen Monumenten steht», gibt Umberto Lombardo, Doktorand in der Forschungsgruppe Paläogeoökologie, erste Erkenntnisse des laufenden Projekts preis. Damit widerlegen die Forschenden des Geographischen Instituts die bisherige Annahme, das Gebiet im bolivianischen Departement Beni sei zu präkolumbischer Zeit nur spärlich und von einfachen Jägern und Sammlern bevölkert gewesen.
Gross wie zehn Fussballfelder
Umberto Lombardo war für das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt bereits mehrere Monate im bolivianischen Amazonasgebiet. Er spricht beeindruckt von den teilweise über 20 Meter hohen Hügeln mit einer Oberfläche von bis zu zehn Fussballfeldern. «Ausgrabungen eines Archäologen, der mit uns zusammenarbeitet, förderten Tongefässe, Essensreste und menschliche Skelette zutage. Diese zeigen, dass die Hügel über mehrere Generationen geformt wurden und bewohnt waren», so der Wissenschaftler. Er sehe allerdings keinen praktischen Grund, weshalb die Menschen den immensen Aufwand auf sich genommen haben sollen, die Erde so hoch aufzuschütten. Immerhin mussten sie dafür insgesamt 15 Millionen Kubikmeter Erde heranschaffen – und dies ohne Lasttiere und Maschinen. Um die sechsmonatige Hochwassersaison trocken zu überstehen, hätten Erhebungen von einem Meter ausgereicht. «Wir gehen deshalb davon aus, dass die Hügel eine politische oder religiöse Bedeutung hatten.»
Neben der unerwarteten Anzahl und Grösse dieser Hügel erstaunt die Forschenden auch das über 900 Kilometer umfassende Netzwerk von Kanälen. «Diese dienten als Wasserstrassen für den Transport von Gütern und zur Entwässerung», sagt Lombardo.
Eine Vergangenheit geben
Die Studie der Universität Bern erweitert das bisher spärliche Wissen über die Lebensumstände von Ureinwohnern des südamerikanischen Kontinents vor der Ankunft der Europäer. Die detaillierte Erforschung der präkolumbischen Geschehnisse im Amazonasbecken steht aber noch am Anfang: «Bis vor 20 Jahren war das Gebiet nur per Flugzeug zugänglich, es existierten keine Strassen», gibt Lombardo zu Bedenken.
Darüber hinaus erhalten die Forschungsbemühungen noch eine ganz andere Bedeutung. Denn während die Eingeborenen aus dem Hochland Boliviens bis heute ihre Kultur und Identität wahren konnten, fiel das kulturelle Erbe der Völker aus den tiefer gelegenen Gegenden der Kolonialisierung zum Opfer. «Mit unseren Erkenntnissen können wir den Menschen, die heute dort leben, ein Stück Identität zurückgeben. Sie lernen so ihre Vergangenheit kennen», erklärt Lombardo.