Der Schweizer Senn ist ein Ausländer
Nicht der urchige Bergbauer hat meist den Schweizer Alpkäse gemacht, sondern Deutsche, Österreicher, Italiener. Die Berner Sozialanthropologin und Journalistin Sarah Fasolin hat einen ethnographischen Film über die «Käsemacher» aus dem Ausland gedreht. Nun wird er am Wissenschaftsfilmfestival in Bern gezeigt.
Auf seinem pinkfarbenen T-Shirt steht «Zea Newland». Und das Neuland, das er nun für die nächsten drei Monate sieht, ist eine Alphütte auf der Balisalp, 1690 Meter über Meer, mit einem Dutzend Kühen irgendwo im Berner Oberland. «Das ist urchig, das gefällt mir», sagt Mathias Büttner bei seiner Ankunft. Er sagts mit den Händen in den Jeanstaschen und mit breitem Österreicher Dialekt – denn er ist einer der vielen Ausländer, die für die Schweizer Bergbauern deren Vieh auf der Alp sömmern. Matthias war früher Koch und über den Sommer ziehts ihn und die Familie in die Schweizer Berge.
«Mehr als ein Drittel der Senninnen und Sennen kommen aus dem Ausland», sagt Sarah Fasolin. Die Berner Sozialanthropologin hat selber drei Sommer auf der Alp verbracht und erstaunt festgestellt, dass gerade dort zwischen Bergkräutern und Kuhfladen, wo alle den typischen Schweizer Bauern im Edelweiss-Hemd vermuten, Deutsche, Österreicher, Italiener und Polen über die Wiesen stapfen und käsen. Die Journalistin und Feldforscherin ging in ihrer Masterarbeit den Hintergründen dieser Arbeitsmigration nach. Entstanden ist ein eineinhalbstündiger, ethnographischer Film. «Die Käsemacher» wird am Wissenschaftsfilmfestival der Stiftung «Science et cité» gezeigt.
Der Wandel in den Alpen
Sarah Fasolin zeigt in ihrem Begleitdokument zum Film den Prozess auf, wie ausländisches Personal die einheimischen Arbeitskräfte mit der Zeit auf der Alp ablöste. Der Wandel in der Schweizer Alpwirtschaft begann mit der Industrialisierung, und in der Nachkriegszeit suchten viele Kleinbauern nach einem Zusatzverdienst. Aufgrund der konjunkturellen Hochlage wurden viele Ganzjahresstellen geschaffen, die sich nicht mehr mit dem Alpsommer, der vom Juni bis im September dauert, kombinieren liessen. «Ab den 1970er Jahren begann die Migration von Ausländern als Sennen in die Schweizer Berge», so Fasolin.
Bessere Bildungsmöglichkeiten führten ausserdem zu einer Abwanderung der Jungen aus dem Berggebiet, die steigenden Löhne in anderen Branchen machten dem bescheidenen Entgelt für die Alp-Arbeit Konkurrenz. Die Milchbüechli-Rechnung ist schnell gemacht: «Die Senninnen und Sennen erhalten pro Monat rund 3000 Franken brutto», schätzt Sarah Fasolin, «dies bei rund drei Monaten mit Siebentagewoche.» Es ist klar: Um reich zu werden, gehen diese Europäer nicht zu Berge.
Natur, Tiere, Körper, Insel
Saskia, 29, ehemalige Steinmetzin aus Hamburg, wollte an die frische Luft. Der 39-jährige katholische Theologe Andreas Köstenbauer schätzt es, den Kreislauf der Dinge zu sehen und ein Produkt von A bis Z – von der Milch zum Käse – selber herzustellen: «Ausnahmslos alle ausländischen Senninnen und Sennen erwähnen die Natur als einen der wichtigsten Gründe, weshalb sie gerne drei Monate in den Bergen arbeiten», so Fasolin. Ebenso bezeichnen sich die fünf Protagonisten des Films als sehr tierverbunden. Im ausführlichen Dokument zum Film geben sie zu Protokoll: «Es sind einfach die Kühe, die einem gut tun. Wenn man nicht mehr mag, dann kommen sie und sind so zutraulich», führt Saskia aus. Andreas geht noch weiter: «Von den Kühen kann man lernen, langsam zu werden.» Alle schätzen es, einfach zu leben, physisch anzupacken: «Der Körper wird durchgearbeitet, so dass der Kopf frei wird», fasst Weltenbummlerin und Lehrerin Felicitas Heckmann zusammen. «Die Alp wird von den meisten auch als Oase gesehen», so Fasolin, «in welche sie für eine gewisse Zeit abtauchen können».
Schwierige Sprache
Und so stehen sich die Natursuchenden aus dem nahen Ausland und die Berner Oberländer Bauern, die für den Sommer einen Sennen suchen, gegenüber. Was passsiert, wenn diese zwei Lebenswelten aufeinandertreffen – das war die Frage, die Sozialanthropologin Fasolin vor dem Hintergrund des Transnationalismus und der Arbeitsmigration interessierte. Im Film wird schnell klar, dass die verschiedenen kulturellen Hintergründe das besondere Arbeitsverhältnis nicht immer einfach machen: Wenn Bauer Thuri von Bergen mit einer Zigarre im Mundwinkel seiner Sennin Felicitas erklärt, wie man die Kälber anbinden muss, versteht sie kein Wort; Thuri mag sich nämlich nicht ans Hochdeutsch halten. Und wenn die Deutsche etwas resolut spricht, weil dies ihrer Kommunikationskultur entspricht, sieht sich der wortkarge Oberländer Bauer an den Karren gefahren. Auch mit den benachbarten Älplern gibt es ab und zu Auseinandersetzungen – etwa darüber, über welchen Pfad die Kühe zusammengetrieben werden müssen.
Die Herausforderungen sind gross
«Gepaart mit dem harten Leben auf der Alp und einer Art sozialer Enklave birgt diese Konstellation einige Reibungspunkte, die ein paar Mal am Küchentisch diskutiert werden mussten», stellt Fasolin fest. Die Ethnologin verfolgte den Alltag und auch die «Kropfleerete» mit der Kamera. «Entstanden ist ein ethnographischer Film, der nur die Hauptakteure sprechen lässt und die sozialen Interaktionen ohne Off-Kommentar zeigt», so Fasolin. Nach diesen Richtlinien ist er als wissenschaftliches Dokument anerkannt.
Drei Monate, 43 Drehtage, 99 Minuten später gehen die fünf Porträtierten wieder ihres Weges, verlassen die «Insel» auf 1600 Höhenmeter. Felicitas umarmt ihr Lieblingskalb und zieht ihren Rucksack an. Mathias und seine Familie packen ihre Taschen in den Kombiwagen und fahren Richtung Österreich. In den Kellern im Berner Oberland reift der Käse der ausländischen Käsemacher. Und über der Balisalp zieht bald der Herbst hinein.
Kurznachrichten
18.10.2010
Bester Abschluss-Film
db. Sarah Fasolins Film «Die Käsemacher – ausländische Alpsennen im Berner Oberland» hat am Festival des wissenschaftlichen Films eine Auszeichnung erhalten. Die Jury von «Science et Cité Cinéma 2010» prämierte das Werk der Sozialanthropologin in der Kategorie «Abschlussfilme». Fasolin hat den Film als Masterarbeit an der Universität Bern produziert. Das alle zwei Jahre stattfindende Festival zeigt Filme, die von Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften aller Schweizer Universitäten und Fachhochschulen realisiert worden sind.
Die Käsemacher
Ausländische Alpsennen im Berner Oberland», von Sarah Fasolin, 2010, 99 Minuten, Dialekt/Hochdeutsch/Italienisch mit deutschen und englischen Untertiteln. Bezug bei sarah.fasolin@gmx.net
Nächste Vorführungen: 15. Oktober 2010, 20.30h, Filmfestival «Science et Cité Cinéma», Kino Cinématte, Bern.
Ab 18. November 2010, Kino Meiringen BE.