Leiden und Freuden eines Schulkommissärs
Jeremias Gotthelf ist bekannt als Schriftsteller und Pfarrherr – weniger als Kämpfer für die Schule. Berner Germanisten schliessen diese Lücke mit einer Ausstellung, die vom 2. bis 17. März im Uni-Hauptgebäude zu sehen ist. Ein Rundgang durch die Ausstellung in Lützelflüh, wo sie im letzten Jahr gastierte.
Lützelflüh liegt anmutig inmitten von Hügeln und strahlt ländliche Idylle aus. Schon von weitem sichtbar ist der Kirchturm. Er gehört zur Kirche, von deren Kanzel aus Pfarrer Albert Bitzius (1797-1854) – besser bekannt unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf – seiner Kirchgemeinde ins Gewissen redete. Der streitbare Pfarrherr und Schriftsteller nahm kein Blatt vor den Mund und prangerte Missstände im bäuerlichen Alltag auch in seinen Erzählungen direkt an. «Gotthelf verfügte über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und eine scharfe Beobachtungsgabe. Er porträtierte die Bauern in all ihren Facetten – nicht nur mit den Sonn-, sondern auch mit den Schattenseiten. Das passte den Emmentalern nicht», erläutert Verena Hofer, Präsidentin des Vereins «Gotthelf-Stube Lützelflüh».
Die Idylle trügt: Jeremias Gotthelf wies in seiner Kirche in Lützelflüh auch die Missstände im bäuerlichen Alltag hin. (Bild:sz)
Albert Bitzius scheute jedoch den Widerstand nicht und rüttelte mit seiner Kritik am Alkoholmissbrauch, dem Umgang mit Armen und dem Verdingkinder-Elend, am Idyll und der «Bhäbigkeit» Lützelflühs und der umliegenden Gemeinden. Auch im Schulwesen lag damals vieles im Argen. So setzte sich Gotthelf für eine bessere Schulbildung ein. Dank intensiver Recherchen von Berner Germanistinnen und Germanisten unter der Leitung von Barbara Mahlmann-Bauer sind viele Zeugnisse von Gotthelfs schulreformerischer Tätigkeit zu Tage gekommen. Die Ergebnisse dieser Forschung macht das Team vom Institut für Germanistik in der Ausstellung «Jeremias Gotthelf und die Schule» zugänglich – nun gastiert sie vom 2. bis 17. März im Uni-Hauptgebäude.
Gotthelf in einem zeitgenössischen Porträt von Johann Friedrich Dietler. (Bild:©Burgerbibliothek Bern)
Arme Lehrer
Die kleine, aber feine Ausstellung veranschaulicht, wie das moderne Schulwesen im Kanton Bern entstanden ist. Sie zeigt ausserdem anhand von Briefen, Zeitungsartikeln und anderen Schriften auf, wie Gotthelf mit enormem Engagement an dieser tiefgreifenden Reform mitwirkte. Zu Gotthelfs Zeiten behielten beispielsweise viele Bauern ihre Kinder für Hof- und Feldarbeiten zuhause, statt sie in die Schule zu schicken. Pfarrer Bitzius kämpfte für die allgemeine Schulpflicht, notfalls mit Strafen für die säumigen Eltern – womit er sich natürlich nicht beliebt machte.
Auch auf der Seite der Lehrer gab es viele Missstände, da der Beruf wegen des geringen Lohns und Klassenzahlen von bis zu 100 Schülern in einem Raum unattraktiv war. So setzte sich Gotthelf für den Bau neuer Schulhäuser und die bessere Besoldung der Lehrenden ein. Verena Hofer zitiert ihn: «Ein Schulmeister ist denn doch kein Jagdhund, der am hungrigsten am besten jagt. Sondern sein Kopf steht bis auf einen gewissen Punkt in akkurat geradem Verhältnis zum Magen.»
Babylonische Verwirrung
In der Ausstellung sind auch verschiedene Lehrbücher, Kinderbibeln und Katechismen zu sehen, mit denen die Schüler unterwiesen wurden. Gotthelf kritisierte das Fehlen von einheitlichen Unterrichtsplänen und den Wirrwarr von verwendeten Lehrmitteln mit spitzer Feder: An den Berner Schulen herrschte eine «babylonische Verwirrung». Gotthelf kämpfte auch gegen die Liberalisierung der Berner Wirtshausgesetzgebung. So berichtete er in Briefen an das Erziehungsdepartement von Schülern, die regelmässig ins Wirtshaus gingen, sowie von Lehrern mit Alkoholproblemen. Einen konkreten Grund zur Kritik gab die Gemeinde Rüegsau. Dort befand sich der Gasthof näher am Schulhaus, als gesetzlich erlaubt war, wie die Germanistin Marianne Derron bei ihren Nachforschungen herausfand.
Jeremias Gotthelf war eine Persönlichkeit, die bei der Obrigkeit aneckte. (Bild: sz)
Unbequem für die Obrigkeit
Gotthelfs Einsatz wurde 1835 mit der Wahl zum Schulkommissär von Lützelflüh, Hasle, Rüegsau und Oberburg honoriert. In dieser Funktion – neben seinem Pfarramt und seiner schriftstellerischen Tätigkeit – beaufsichtigte er 19 Schulen, die er auch tatsächlich regelmässig besuchte. Andere Schulkommissäre schreckten die langen Wege ab, im Fall Gotthelfs bis zu vier Stunden. Viele der Erfahrungen aus seiner zehnjährigen Schulkommissärs-Zeit flossen in den Roman «Leiden und Freuden eines Schulmeisters» (1838/39) ein.
Aus der Sicht des Primarlehrers Peter Käser im fiktiven Ort «Gytiwyl» schildert der Autor die Missstände und deren Folgen im Schulwesen. Auf diesem Weg gelang es Gotthelf, sich und seinen Anliegen Gehör zu verschaffen. Es entspannen sich heftige Debatten, und viele dringende Veränderungsprozesse kamen in Gang. Der beherzte Schritt in die Öffentlichkeit rief aber auch beleidigte oder wütende Reaktionen hervor, und Gotthelfs Gewissenhaftigkeit und Tatendrang machten ihn bei der Obrigkeit unbeliebt. Otto von Greyerz beschreibt ihn in seinem Buch «Jeremias Gotthelf» als einen, «dem es um die Sache geht» und der dabei «sich selbst und seinem Ruf schädigt».
Grösserer Schulfleiss
Das Fass zum Überlaufen brachte 1844 ein anonymer Beitrag in der «Pädagogischen Revue». In diesem Text wirft Gotthelf dem Erziehungsdepartement gravierende Mängel vor. Als Verfasser identifiziert, wurde er kurz darauf als Schulkommissär entlassen. Nichtsdestotrotz beschäftigte sich Gotthelf weiterhin mit pädagogischen Angelegenheiten. «Bitzius’ Einsatz für das Schulwesen darf mit Fug und Recht als eine seiner Lebensaufgaben gelten, obwohl er das neue Schulgesetz von 1856 nicht mehr erlebte», schreibt Marianne Derron im Katalog zur Ausstellung. Woher nahm der unermüdliche Kämpfer für bessere Lebensbedingungen – als Pfarrer, Schulkommissär und Schriftsteller – seine Kraft und Ausdauer? Gotthelf wirkte stets vor dem Hintergrund seines starken christlichen Glaubens. Leben und Glaube bildeten für ihn eine Einheit. Verena Hofer sagt: «Wenn Gotthelf Elend und Unglück sah, konnte er nicht tatenlos zusehen, er musste dann handeln und etwas verändern.»
Gotthelf an der Uni Bern
Berner Germanisten erarbeiten unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Mahlmann-Bauer und PD Dr. Christian von Zimmermann die historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke Gotthelfs. Die Ausstellung, konzipiert von Mitarbeitenden des Editionsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Verein «Gotthelf-Stube Lützelflüh», dokumentiert einen Teilschritt auf dem Weg zur Gesamtausgabe. Der Grosse Rat des Kantons Bern hat 2005 durch Gelder aus dem Lotteriefonds die Gründung der Jeremias Gotthelf- Stiftung ermöglicht. Der Hauptzweck dieser Stiftung besteht in der Neu-Edition der Werke Gotthelfs.