Minarett-Verbot als symbolisches Zeichen

Das Ja zur Minarett-Initiative war deutlich – dennoch sehen Experten nicht eine Ablehnung der Muslime dahinter. Das hat die VOX-Analyse ergeben, die von Politikwissenschaftlern der Uni Bern durchgeführt wurde. Vielmehr sei es ein Zeichen gegen die Verbreitung des Islams in der Schweiz.

Von Bettina Jakob 25. Januar 2010

Die Linke und Rechte haben abgestimmt wie erwartet – es war die Mitte, die für eine Überraschung sorgte und schliesslich das Ja zur Minarett-Initiative besiegelte. Dies zeigt die VOX-Analyse, die das Institut für Politikwissenschaft der Uni Bern durchgeführt hat. Die repräsentative Bevölkerungsbefragung wird seit 1977 regelmässig durchgeführt; bei der Minarett-Abstimmung zum 100. Mal. Das Schweizer Volk sprach sich am 29. November 2009 mit 57,5 Prozent klar gegen den Bau von Minaretten aus. Dennoch wollen die Politikwissenschaftler das Ergebnis nicht als generelle Ablehnung der Muslime sehen, sondern vielmehr als symbolisches Zeichen gegen die Verbreitung des Islams in der Schweiz.


Das Minarett in Zürich bleibt eines der wenigen in der Schweiz: Neue verbietet die angenommene Minarett-Initiative. (Bild: istock.com)

CVP- und FDP-Parolen nicht befolgt

«Es handelt sich nicht um einen Rechtsrutsch», wie Politik-Experte Hans Hirter an der Medienkonferenz an der Uni Bern ausführte: Die Analyse zeigt, dass die Mitte die Initiative mit 67 Prozent Stimmanteil angenommen hatte. Personen also, die aufgrund ihrer politischen Einstellung nicht «per se ausländerfeindlich sind, sondern sich sogar für die Chancengleichheit zwischen Schweizern und Ausländern aussprechen und für eine moderne, offene Schweiz plädieren». So entschieden Sympathisantinnen und Sympathisanten von CVP und FDP (54 Prozent Ja bei der CVP beziehungsweise 60 Prozent bei der FDP) sogar gegen die Parole ihrer Parteien – während die Anhängerschaft der SP und der Grünen den Partei-Empfehlungen folgte und die Vorlage hochkant verwarf. Ebenso deutlich nahm die SVP-Gefolgschaft die Initiative an.

Die linken Frauen sind die Überraschung

Es waren nicht die linken Frauen, die – wie nach der Abstimmung vermutet – die Initiative stark unterstützten: Nur 16 Prozent stimmten dafür, mit 21 Prozent waren es sogar mehr linke Männer. Bei den selbstdeklariert rechten Frauen lag die Ja-Quote mit 87 Prozent jedoch um einiges höher als die bei den Männern, die bloss zu 71 Prozent ein Ja in die Urne legten. «Ansonsten lassen sich bei Alter und Geschlecht keine signifikanten Unterschiede feststellen», so Hans Hirter. Aus gesellschaftlichen Aspekten wirkte sich die formale Bildung am stärksten auf das Resultat aus: Personen mit einer Berufslehre stimmten klar zu, Personen mit einer höheren Berufs- oder Hochschul-Bildung lehnten sie ab. Protestantische und katholische Schweizerinnen und Schweizer legten zu 60 Prozent ein Ja in die Urne, Religionslose mehrheitlich ein Nein.

Kaum konkrete Kritik an Muslimen

«Das Minarett wird als Herrschaftssymbol des Islams wahrgenommen», sagte Hans Hirter vor den Medien, was auch das stärkste Motiv für die Annahme der Initiative gewesen sei. Die Diskriminierung von Christen in islamischen Ländern wird nur von jeder sechsten Person als Motiv genannt, und eine konkrete Kritik an den hier lebenden Muslimen wird nur von 10 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger als Argument gegen den Minarett-Bau aufgeführt. Im Gegenzug dazu: Zwei Drittel der Nein-Stimmenden nannten als Grund gemäss Hirter den Widerspruch gegen das Menschenrecht. «Doch damit liess sich offenbar keine Abstimmung gewinnen.»

Minderheiten: Muslime doppelt betroffen

Tatsächlich ist es so, dass in der Schweiz kantonale und eidgenössische Abstimmungsvorlagen, welche Muslime betreffen, eher abgelehnt werden. Das hat eine zusätzliche Auswertung von rund 300 Vorlagen ergeben, die für Minderheiten relevant waren. «Von über 70 Vorlagen zur rechtlichen Besserstellung von Ausländerinnen und Ausländern wurde fast die Hälfte abgelehnt», wie Politikwissenschaftler Adrian Vatter vor den Medien sagte. Die Muslime seien dabei doppelt betroffen gewesen – als Ausländer und als religiöse Minderheit. Im Grundsatz sei das Volk kritisch gegenüber Minderheiten, die schlecht integriert seien und fremde Wertvorstellungen hätten. Andere Minderheiten erfuhren hingegen Wohlwollen, etwa Sprachminderheiten oder Behinderte. «Am intolerantesten sind die Schweizerinnen und Schweizer gegenüber Militärdienstverweigerern, am tolerantesten gegenüber Homosexuellen», so Vatter.