Plattentektonik im Sandkasten

Geologie im Kleinformat und im Zeitraffer: Der Geologe Guido Schreurs untersucht plattentektonische Bewegungen in einem Sandkasten. In seinem Modell werden Sand und Silikon verschoben, während der Prozess mithilfe eines Röntgengeräts festgehalten wird. Zum Schluss gibt es die Jura-Faltung als 3D-Film.

Von Bettina Jakob 01. April 2010

Wenn Guido Schreurs wissen will, was vor ein paar Millionen Jahren geschah, geht er zu seinem Sandkasten. Beim Berge bauen im kleinen Masstab versucht der Berner Geologe herauszufinden, was damals im Grossen passierte – etwa bei der Faltung des Juras. Schreurs und sein Doktorand Matthias Klinkmüller simulieren in einem rund 2 Meter langen und 50 Zentimeter breiten Kasten voller Sand tektonische Bewegungen und wollen herausfinden, welche davon zu den heutigen Gräben und Gebirgen geführt haben könnten. Mit seinem Sandkasten-Modell will der Geologe «die Prozesse der Natur besser verstehen und nachvollziehen». So hat er auch eine mögliche Theorie im Sandkasten nachinszeniert, wie die heutige Jurakette zu ihrem Bogen kam.

Simulation divergierender Platten
Nicht nur Gebirgsbildungen können simuliert werden, sondern auch Gräben, die beim Auseinanderdriften von Erdplatten entstehen. Bilder: Zvg

Ein Zentimeter entspricht einem Kilometer

In den Kasten kommen verschiedene Materialien: Als erstes legen die Geologen eine fünf Millimeter dicke Lage Silikon auf einen Teil der Bodenfläche. Silikon simuliert weiche Sedimente wie etwa Salzablagerungen, die in geologischen Prozessen als glatte Fläche wirken; über diese können sich andere Gesteinsschichten leicht schieben. Auf die Silikonschicht streuen die Geologen zwei Sorten feinen Sandes.

«Der Sand repräsentiert harte Gesteinschichten wie Kalk oder Sandstein», erklärt Schreurs. Ist einmal eingestreut, kommt Bewegung in den Sandkasten: Die Wände des Sandkastens lassen sich per Computer gesteuert in gewünschter Geschwindigkeit und Neigung verschieben. Dadurch können die Sandschichten in verschiedene Richtungen gestossen werden, es bilden sich Mini-Gebirge – oder Becken, wenn sich die Wände voneinander entfernen. Distanz und Geschwindigkeit haben die Geologen skaliert: Eine Verschiebung des Materials um einen Zentimeter bedeutet gemäss Schreurs in natura eine Distanz von rund einem Kilometer, eine Stunde entspricht etwa einer Million Jahre.

Sandkasten aus der Vogelperspektive
Querschnitt der Schichten im Röntgenbild
So sieht das Experiment aus: Im Sandkasten (oben, Vogelperspektive) wird der Sand zusammen geschoben. Die Schichten (unten, Querschnitt) werden mit dem Röntgentomographen sichtbar gemacht.

Sandkasten geht zum Röntgen

Das blosse Beobachten von Auge reicht für eine fundierte Analyse natürlich nicht aus: Die Geologen stecken ihren Sandkasten während des laufenden Prozesses in einen Röntgentomographen, der alle paar Minuten Querschnittbilder des Kastens macht. Mit diesen digitalen Bildern lässt sich eine detaillierte Untersuchung der Sandschichten zum beliebigen Zeitpunkt x abrufen. Sowohl Sandschichten wie auch Brüche sind aufgrund verschiedener Absorptionseigenschaften der Röntgenstrahlen klar erkennbar. Eine zusätzliche Analyse können die Geologen als Film haben (Link rechts): «Bildet man alle Aufnahmen aus der Röntgentomographie als Serie ab, entsteht eine 3D-Abbildung in zeitlicher Abfolge», so Guido Schreurs – also eigentlich ein 4D-Modell.

Warum ist der Jura krumm?

Mit einem solchen Setting versuchten die Berner Geologen nun die Entstehung des Juras zu reproduzieren. Die 300 Kilometer lange Bergkette an der schweizerisch-französischen Grenze ist ein Nebenprodukt der Alpenfaltung, welche durch die Verschiebung der afrikanischen Kontinentalplatte nach Norden eingeleitet wurde. Durch den Schub wurden auch die Gesteinsschichten des Mittellandes weitergedrückt – und zwar nicht linear. «Wir gehen davon aus, dass auf einer gewissen Fläche die weichen Schichten – Salzrückstände aus dem Urmittelmeer vor 225 Millionen Jahren – als Gleitunterlage wirkten und die harten Gesteinsschichten noch weitergleiten und falten liessen», erklärt Schreurs. So könne die Krümmung der Jurakette zustande gekommen sein. Der Geologe beweist am 4D-Modell – als Siebensekunden-Film seines Sandkastenexperiments – gleich die Plausibilität dieser Erklärung: Der Sand gleitet über die Silikonschicht, während er sich bei sandiger Unterlage schneller aufwirft: der aufgeworfene Sand beschreibt einen Bogen.

Röntgengerät
Ungewöhnliches Bild: Der Sandkasten im Röntgentomographen.

Im Sandkasten am Geologischen Institut können beliebige tektonische Bewegungen simuliert werden – wenn Platten zusammenstossen, auseinanderdriften, aneinanderreiben. Testet der Geologe auch Zukunftsszenarien? «Für die unmittelbare Zukunft, also weniger als eine Million Jahre, sind Modelle schon sehr wichtig», so Schreurs, etwa im Zusammenhang mit der sicheren Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Aber weiter in die Zukunft forscht Schreurs nicht. «Die geologische Vergangenheit wirft schon genügend Fragen auf.»

Tag der offenen Tür

bj. Am 28./29. Mai 2010 entdeckt die Schweiz die Geologie. Auch das Institut für Geologie der Universität Bern öffnet seine Türen. Für Schülerinnen und Schüler wird am Freitag ein besonderes Programm geboten.

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