Eingebildete Kranke im Medizinstudium
Sie simulieren, was das Zeug hält: Schaupielerinnnen und Schauspieler trainieren die Medizinstudierenden in der Kommunikation mit den Patienten. Das Institut für Medizinische Lehre betreut die rund 60 Laiendarstellenden und übt mit ihnen die Rollen ein.
Anita Studer, eine Architektin mittleren Alters, vergräbt das Gesicht in den Händen. Der Krebs in ihrer Brust ist wieder zurück. Der junge Mann, der ihr gegenüber sitzt, schweigt. Was wird er nach dem Überbringen dieser schlechten Nachricht nun tun? Einfach warten? Nach tröstenden Worten suchen oder gleich Mut machen und die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten aufzählen? Eine schwierige Situation, die in diesem Fall nur gestellt ist: Anita Studer ist eine Rolle, in die eine Laienschauspielerin geschlüpft ist. Der junge Mann vis à vis ist ein angehender Arzt, und das Szenario «Breaking Bad News» ist Teil des Kommunikationstrainings für die Berner Medizinstudierenden im vierten Studienjahr. «Ziel ist es, die kommunikativen Fertigkeiten durch Übungen mit Schauspielpatienten zu verbessern», erklärt Ulrich Woermann, Arzt und Ausbildner am Institut für Medizinische Lehre. Das Training wird derzeit zum zweiten Mal in den Unterricht eingebaut – und Laienschauspielerinnen und -schauspieler sind stets gesucht.
Der Schauspielpatient wird über die Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt... (Bilder: Sabine Richter, IML)
Vier Szenarien zum Üben
Auf die künftigen Ärztinnen und Ärzte warten vier Szenarien zum Training: Neben dem Überbringen der Diagnose «Mammakarzinom» üben die Studis die Aufklärung für einen Eingriff wie eine Lumbalpunktion, wobei sie die Einwilligung des Angst erfüllten Patienten erlangen müssen. Weiter steht ein Gespräch auf dem Programm, bei dem der Arzt die Motivation der Patientin zur Einnahme ihrer Medikamente gegen den hohen Blutdruck verbessern soll. Die angehenden Medizinerinnen und Mediziner lernen unter dem Titel «Konflikt am Arbeitsplatz» auch, sich mit dem Umgang mit ungerechtfertigter Kritik auseinanderzusetzen. «All diese Situationen kommen in der Praxis häufig vor», erklärt der erfahrene Arzt Woermann die Auswahl gerade dieser vier Szenarien. Die 160 Berner Medizinstudierenden absolvieren alle vier Trainings zu zweit, wobei jeweils die Rollen «Interviewer» und «Beobachter» wechseln. Die Übung dauert jeweils 15 Minuten.
Schauspieler geben ein Feedback
Nach dem Gespräch erhalten die Studentinnen und Studenten ein Feedback von den Schauspielerinnen. «Die Darsteller beurteilen die Leistung der künftigen Ärzte nach genauen Kriterien», führt Woermann aus, faktisch sei dies die wichtigste Komponente des Trainings: «Die Studierenden erhalten nämlich so eine Rückmeldung aus Patientensicht.» Dabei stehe weniger die medizinisch korrekte Darstellung eines Sachverhaltes im Vordergrund, als vielmehr die Art der Vermittlung und die Haltung des Studierenden. Die Bewertung ist eine nicht ganz einfache Aufgabe für die Laien-Schauspielerinnen, das ist Woermann klar. Entsprechend intensiv verläuft die Schulung der Darsteller, die für ihre Arbeit entlöhnt werden: «Während die Rolle in zwei bis drei Stunden gelernt ist, besprechen die Ausbildner mit den Schauspielern das Feedback über zwei bis drei ganze Nachmittage», so Woermann.
Wichtig ist, dass die Anregungen konkret sind, damit der Student klar weiss, was er ändern muss. Zum Beispiel: «Sie haben mich nervös gemacht, weil sie immer mit dem Fuss wippten.» Das Feedback muss ausserdem mindestens einen positiven Aspekt und einen Verbesserungsvorschlag beinhalten: «Kritik ist wichtig», so Woermann, aber genauso wichtig ist die Bestätigung, wenn etwas gut gelungen sei. «Echte Kranke beurteilen die Studierenden unkritisch wohlwollend», weiss Woermann aus Studien.
... und gibt anschliessend dem angehenden Arzt konkrete Anregungen, wie dieser die Kommunikation verbessern kann.
Neu auch beim Staatsexamen
Rund 60 Schauspielerinnen und Schauspieler bereiten die Berner Medizinstudenten auf die Praxis vor. Doch nicht nur im Training werden Laiendarstellende eingesetzt, seit bald zehn Jahren stehen in den Examen Schauspielerinnen und Schauspieler vor den Prüflingen. Da im Rahmen des Bologna-Prozesses gemäss Woermann das medizinische Staatsexamen in der Schweiz neu strukturiert wird, soll auch da die Prüfungsform «Objective Structured Clinical Evaluation» (OSCE) eingeführt werden. Mit dieser neuen Prüfungsform soll nicht nur theoretisches Wissen abgefragt, sondern auch praktische Fähigkeiten und der angemessene Umgang mit Patienten geprüft werden, so der Ausbildner. Schauspielpatienten sollen dabei helfen, die Prüfungssituationen für alle Studierenden möglichst einheitlich zu gestalten.
Im Vergleich zum Kommunikationstraining im Unterricht gelten hier aber strengere Richtlinien: «Die Darstellenden werden wenig Spielraum haben, wie sie auf das Gespräch reagieren können. Denn alle Studierenden sollen ja bei der Prüfung möglichst die gleichen Voraussetzungen haben», so Woermann. Die Schauspielpatientin mit dem Brustkarzinom dürfte sich in dieser Prüfungssituation weniger von ihrer Intuition leiten lassen als im Training. Sie müsste sich als krebskranke Anita Studer klar an die Rolle aus dem Skript halten.