Bin ich müde?

Wir schlafen, wenn wir müde sind. Doch merken wir jeweils auch, dass wir müde sind? Der Berner Neurologe Johannes Mathis fand dazu eine überraschende Antwort: Der Sekundenschlaf übermannt einen oft unbemerkt. Der Schlafforscher referiert auch an der «Brainweek», die zurzeit stattfindet.

Von Bettina Jakob 16. März 2010

Diese Geschichten machten Johannes Mathis hellhörig: Autolenker, die am Steuer eingeschlafen waren, einen Unfall bauten und im Nachhinein betonten, gar nicht schläfrig gewesen zu sein. «Und dies, obwohl sie ebenfalls zu Protokoll gaben, dass sie aufwachten, als es knallte», so der Berner Schlafforscher. Bisher erklärte die Wissenschaft dieses Phänomen dadurch, dass die Schläfrigkeit auch das Erinnerungsvermögen beeinträchtigt hatte, und dass die Fahrer durchaus müde waren, sich nur nicht mehr daran erinnern konnten. Doch Johannes Mathis blieb skeptisch und wollte mehr über den Sekundenschlaf herausfinden, zumal dieser eine häufige Ursache von Autounfällen ist. Und der Neurologe stiess auf Erstaunliches: Die Unfallfahrer sind womöglich eingeschlafen, ohne überhaupt zu merken, dass sie vorher schläfrig gewesen waren.


Schläfrigkeit am Steuer – merkt man, wenn man anhalten muss? (Bild: istock)

Wach bleiben im dunklen Zimmer

Mathis’ Experiment basiert auf einer Standard-Methode, mit welcher Autofahrer auf ihre Fähigkeit, wach zu bleiben, getestet werden: Die Probandinnen und Probanden – im vorliegenden Fall 28 Medizinstudierende – sitzen nach einer durchwachten Nacht jeweils 40 Minuten einzeln in einem abgedunkelten Raum. Ihre Augenbewegungen, Hirnströme und ihr Muskeltonus werden aufgezeichnet, um objektiv den Übergang vom Wachzustand in den Schlaf zu erfassen. Die Aufgabe für die Teilnehmenden, welche jeweils vor Beginn des Tests erteilt wird, ist einfach: Nichts tun, ausser einen Knopf zu drücken, sobald sie sich schläfrig fühlen – und so lange wie möglich wach zu bleiben.

«Diese subjektive Einschätzung der Schläfrigkeit weicht von anderen Wachhalte-Experimenten ab», so Mathis. In früheren Studien wurden die Probanden jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten während des Tests nach dem Grad ihrer Schläfrigkeit befragt, wogegen im Berner Schlaflabor keine Interaktionen mit den Versuchspersonen während des Tests hineinspielen. Anders ist auch die Berner Definition von Schlaf: Gemäss internationalen Richtlinien muss eine Person aufgrund der Hirnströme während 15 Sekunden im Schlafzustand sein. Mathis und sein Team wollten aber wissen, wie häufig bereits ein Mikroschlaf ab drei Sekunden ist – und weiter: «Merkt die Testperson, wenn sie schläfrig ist – und drückt sie den Knopf, bevor der erste Sekundenschlaf auftritt?»

Weggedöst, ohne es zu merken

Die Resultate sprechen ein klare Sprache: In mehr als 40 Prozent der rund hundert Versuche wurde mindestens einmal zu spät gedrückt. Das heisst: «Die Betreffenden haben nicht gemerkt, dass sie schläfrig waren und sind für mindestens drei Sekunden eingeschlafen», präzisiert Johannes Mathis. «Viele Versuchspersonen nahmen erst nach dem Aufwachen wahr, dass sie eingenickt waren – und haben erst dann den Knopf gedrückt.» Wenn überhaupt: In rund zehn Prozent der Versuche gab es «Spätzünder», die über 15 Sekunden – also den international «richtigen» Schlaf – geschlummert haben, ohne es zu merken.

Es ist aber nicht der Fall, dass sich gewisse Personen als notorische «Spätzünder» entpuppten, während andere stets frühzeitig den Knopf drückten und fit und munter waren: Vielmehr gaben die Einzelnen ihre Schläfrigkeit ein paar Mal per Knopfdruck frühzeitig an, um schliesslich das nächste Mal zu passen und einfach wegzudösen.

Die Frauen waren wacher

Ein Geschlecht schnitt jedoch deutlich besser ab als das andere: «Die Frauen waren schlicht aufmerksamer als die Männer», so Mathis. Ob Macho-Allüren die jungen Medizinstudenten davon abhielten, ihre Schläfrigkeit einzugestehen, oder ob die Frauen tatsächlich ein höheres Empfindungsvermögen für den eigenen Schlaf hätten, sei unklar, sagt Johannes Mathis. Allerdings lasse sich die männliche Aufmerksamkeit steigern, auf ganz einfache Art und Weise: «Wurde vor dem Experiment eine Belohung für gute Leistungen in Aussicht gestellt, wurden die Männer frappant wacher», sagt Mathis mit einem Schmunzeln.

Überprüfen im Fahrsimulator

Welche Konsequenzen haben diese Ergebnisse nun für den Strassenverkehr, wenn ein Lenker nun offenbar nicht mehr darauf vertrauen kann, zu merken, wann er müde ist und anhalten muss? Johannes Mathis will keine Mutmassungen machen, bevor er die Tests im Fahrsimulator wiederholt hat. Der Schlafforscher geht davon aus, dass dort die Versuchspersonen besser abschneiden werden, weil vermutlich kleine Fehler am Steuer bereits lange vor dem Auftreten von Schlaf eine Schläfrigkeit ankündigen. Somit werde die Beurteilung der eigenen Schläfrigkeit im Vergleich zu der Situation im einem stillen, dunklen Zimmer ohne jegliche Rückmeldungen bestimmt erleichtert.

«Die Sicherheitslinien, die Kurven, die aktiven Bewegungen des Steuerrads haben bestimmt auch eine aufweckende Wirkung», ist sich Mathis sicher. Als problematischer erachtet Mathis gewisse Berufe, die eine monotone, passive Aufgabe beinhalten – etwa die stundenlange Überwachung von grossen Industriemaschinen oder das Beobachten von Abläufen auf dem Bildschirm.

Oben