Unerwarteter Besuch einer wilden Katze

Zwei Katzen auf einen Streich: Ein Berner Biologe beobachtet für seine Masterarbeit in der Türkei den Karakal – und vor die Kamera läuft ihm jedoch ein Luchs. Eine besondere Begegnung im Niemandsland.

Von Bettina Jakob 24. Dezember 2010

Er traute seinen Augen nicht, als er die Aufzeichnungen sah: Die Wildkatze auf den Bildern sah nicht aus wie der Karakal, den der Biologe Batur Avgan nahe von Antlaya in der Türkei routinemässig mit seinen Kamera-Fallen beobachtet. Nein, diese Katze war grösser, hatte Punkte auf dem Fell und einen kurzen Schwanz. Ein Luchs – mitten im Einzugsgebiet des kleineren Karakal? «Diese Überraschung sorgt für einigen Wirbel», schreibt Avgan aus der Türkei. «Denn die kürzlich aufgenommenen Bilder sind der erste Beweis für die Koexistenz der beiden wilden Katzen im gleichen Ökosystem.» Logischerweise geriet der Biologe, der am Institut für Ökologie und Evolution der Uni Bern seine Masterarbeit schreibt, aus dem Häuschen, «so alleine in den Bergen der Südwesttürkei, im Niemandsland». Bis anhin vermutete man, dass der Karakal und der Luchs lediglich im Norden Irans zusammen vorkommen könnten – wobei ein Beweis dafür bisher ausstehe, so Avgan.

Luchs gesichtet durch die Kamera
Ungewöhnlich: Munter trottet ein Luchs an Batur Avgans Kamera vorbei. Bilder: Zvg

Der unbekannte Karakal

Er fand also den Luchs – obwohl er den Karakal suchte: Der Berner Student ging eigentlich ins türkische Duzlercami Game Reservat, um die Lebensweise der afroasiatischen Kleinkatze zu erforschen – unterstützt von Zoologe Marcel Güntert vom Naturhistorischen Museum und Urs Breitenmoser von den Koordinierten Forschungsprojekten zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz (KORA). Daten über die Habitatspräferenzen und Ernährungsökologie des Karakals wurden bisher nur in Südafrika erhoben, in Europa ist Avgans Langzeituntersuchung die erste, seit der Karakal 1957 in der Türkei erstmals nachgewiesen wurde. Obwohl die neun bis zwölf Kilogramm schwere Kleinkatze aufgrund von Angriffen auf Haustiere als Problem-Art gilt, ist in der Türkei kaum etwas über ihre Lebensweise bekannt. Mit der Masterstudie von Batur Avgan soll sich das ändern: Mittels Kotanalyse beschreibt er das Beutespektrum – zu welchem in Afrika kleine Nager, Vögel und Hasen gehören – und mit Kameras erforscht er die bevorzugten Habitate der seltenen Kleinkatze.

Karakal gesichtet durch die Kamera
Ein Karakal beäugt die Kamerafalle im türkischen Duzlercami Game Reservat.

Der Luchs auf Durchreise

Einmal in der (Kamera-)Falle, lässt Avgan aber auch den Luchs nicht mehr laufen: «Ich will meine Doktorarbeit über das Zusammenleben von Karakal und Luchs schreiben», so der Biologe; diese Interaktion sei noch nie untersucht worden. Er geht davon aus, dass die beiden Katzen Vermeidungsstrategien haben, damit sie sich im gleichen Gebiet nicht über den Weg laufen. Batur Avgan hat schon eine Hypothese: «Es könnte sein, dass der Luchs in höheren Lagen vorkommt, während der Karakal tiefere besiedelt.» Das Beuteschema dürfte nicht zu Problemen führen, da der Luchs wie die Grosskatzen vorzugsweise Huftiere reisst.

Batur Avgan hat auch eine Vermutung, woher der Luchs stammt, der am 13. Oktober überraschenderweise vor seine Linse trottete: Da es sich um einen einmaligen Nachweis handle, sei es wohl ein heranwachsendes Tier auf der Durchreise. Es ist bekannt, dass einjährige Luchse nach der Trennung von der Mutter lange Distanzen zurücklegen, um sich ein eigenes Territorium zu suchen.