Arsen, Quecksilber und die wilden Syphilis-Kuren

Plötzlich war sie da – ab 1494 grassierte in Europa die Syphilis. Die Ärzte im Mittelalter griffen zu drastischen Therapien, um der «Lustseuche» beizukommen. Erst eine Arsen-Verbindung wurde um 1909 zur wirksamen Kur. Die «Berner Chemische Gesellschaft» lud zu einem Stück Medizingeschichte.

Von Bettina Jakob 31. März 2011

Bittersüss ist sie, die englische Redensart über die Ansteckung mit Syphilis im Mittelalter: «A night in the arms of Venus leads to a lifetime on Mercury.» Eine schöne Nacht mit Venus konnte einen Verklärten an einen völlig anderen Ort katapultieren als gewünscht – auf den Merkur beziehungsweise in die lebenslange Quecksilber-Therapie: Die Quecksilber-Salbungen und orale Gaben waren lange Zeit die einzige Therapie gegen die Geschlechtskrankheit. Sie rafften aber die meisten Syphilis-Patienten aufgrund einer Schwermetall-Vergiftung dahin. Syphilis – ein 500 Jahre altes Thema, das nach zwischenzeitlichem Vergessen jetzt wieder brandaktuell ist: Die Syphilis ist in Europa auf dem Vormarsch. Über «Lust, Leid und Wissen» referierte Michael Kessler, Leiter des Pharmazie-Historischen Museums der Universität Basel, im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der «Berner Chemischen Gesellschaft» an der Uni Bern.

Gemälde eines Mannes und einer Frau
Hinter einer verführerischen Maske versteckt: die Syphilis. Bild: zvg

Die drei Stadien der Krankheit

Es war eine Explosion. Ab 1494 grassierte in Europa die Syphilis, «mit einer epidemiologischen Ausbreitung, die in der Medizingeschichte in dieser Ausprägung einzigartig ist», so Michael Kessler. Warum ist unklar – die Herkunft der Syphilis ist bis heute nicht eindeutig belegt. Kam sie mit den Söldnern von Kolumbus nach Europa oder war sie schon vorher da, wie Skelettfunde aus dem 13. Jahrhundert nahelegen? Gewiss ist nur, dass die Geschlechtskrankheit nicht zu stoppen war; im Jahr 1510 hatte sie bereits Südostasien erreicht.

Die verzweifelten Wissenschaftler suchten nach deren Ursache, fanden sie aber lange nicht. Nachgewiesen wurde der spiralförmige Erreger erst 1905 – dank präziseren Mikroskopie-Methoden konnte das Bakterium Treponema pallidum sichtbar gemacht werden. Der Syphilis-Erreger wird über Schleimhaut-Läsionen beim Geschlechtsverkehr übertragen. Im ersten Stadium der Krankheit entstehen schmerzlose Geschwüre an den Genitalien, es folgen unspezifische Grippesymptome, Hautekzeme und in einer dritten Phase werden Organe und Gewebe angegriffen. «Unbehandelt führt die Krankheit zu Demenz und Tod», fasste Kessler zusammen.

Gottesstrafe oder Sternkonstellation?

Die Suche nach dem Auslöser der Krankheit führte im Mittelalter über vielerlei seltsame Wege: Eine wissenschaftliche Theorie legte etwa nahe, dass eine schlechte Sternkonstellation im Herbst des Jahres 1484 für die entsetzlichen Geschwüre verantwortlich sein soll; alle Planeten versammelten sich zu diesem Zeitpunkt im Zeichen des Skorpions, dem die Geschlechtsteile zugeordnet wurden. Es wurde «Heiliges Holz» aus Südamerika eingeführt, welches die Kranken kurieren sollte, aber nicht half. Viele taten Syphilis als Gottesstrafe ab. Die eingangs erwähnte Quecksilber-Therapie sollte gemäss Vielsäfte-Lehre den krankmachenden Schleim aus dem Blut lösen, was mit dem Schleimspucken nach der Quecksilber-Einnahme bewiesen zu sein schien. Die vergifteten Patienten starben – bis Paracelsus 1536 erkannte, dass Quecksilber tatsächlich gegen Syphilis half, aber nur in geeigneter Dosierung: «Die Gabe macht das Gift», so die neue Devise in der Therapie der Geschlechtskrankheit.

Gemälde
Sind die Sterne an der Syphilis schuld? Stich: Albrecht Dürer

Die berühmten Opfer

«Kleine Lebewesen» sollen es sein, welche die Geschwüre verursachen. Von Mensch zu Mensch würden sie übertragen: Diese Vermutung stellte ein italienischer Arzt erstmals um 1546 auf, «in der Folge entstand 1564 das Kondom aus Leine oder Seide», sagte Michael Kessler. «Dann passierte 200 Jahre lang gar nichts», so der Pharmazeutik-Experte: Die Gesellschaft schien sich mit der «Lustseuche» abgefunden zu haben, auf die von Geschwüren vernarbten Köpfe wurden Perücken gesetzt. Die Geschlechtskrankheit war allgegenwärtig und forderte auch berühmte Opfer: Marquis de Sade, Cyrano de Bergerac und Casanova. Baudelaire sagte 1848: «Wir sind zwar demokratisiert, aber wir sind syphilisiert.» In der Schweiz waren 1881 gemäss neu eingeführter Registerzahlen zehn Prozent der 21- bis 30-jährigen Männer infiziert. «Die Dunkelziffer lag wohl um ein Vielfaches höher», sagte Kessler.

Bemerkenswert ist gemäss Kessler ausserdem die falsche Zuteilung von Täter- und Opferrollen. Die Schuld an einer Ansteckung wurde nicht etwa den Männern, sondern stets Prostituierten zugeschoben. «Noch bis ins 20. Jahrhundert konnte in der Schweiz eine Frau wegen Ansteckung verhaftet werden – wie etwa Marie Schürch, Serviceangestellte im Badischen Bahnhof, die angezeigt und «abgeführt» wurde, wie Kessler aus dem Polizeiprotokoll rezitierte.

Mit Arsen zum Erfolg

Endlich kam der Durchbruch – im Jahr 1909: Der deutsche Chemiker und eifrige Wissenschaftler Paul Ehrlich hatte gelesen, dass die Malaria-Erreger Trypanosomen mit Arsen bekämpft werden können. Warum nicht auch Spirochäten, zu welchen die Syphilis-Erreger gehören? In einem gross angelegten Verfahren mit Hilfe der Industrie testete Ehrlich unzählige Arsenverbindungen an infizierten Tieren. «Der 606. Versuch schlug an, die Arsenverbindung Salvarsan kam auf den Markt», fasste Kessler zusammen. Mit der neuen Therapie der Syphilis-Infektion konnten bis 1928 rund zwei Drittel der Erkrankten gerettet werden.

In der 1950er Jahren schien der Fluch der Syphilis schliesslich vollends gebrochen: Mit Penicillin kam das erste hochwirksame Antibiotikum zum Einsatz: «Die Neuansteckungen gingen drastisch zurück, praktisch gegen null», so Michael Kessler. Heute sehen die Zahlen aber wieder anders aus: In der Schweiz wurden 2008 insgesamt 900 Neuansteckungen registriert. Kessler vermutet, dass mit der heutigen antiretroviralen Therapie die Angst vor einer Ansteckung durch HIV gesunken ist. Das heisst: Weniger Kondome – und wieder mehr Syphilis.

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