Ausschaffungsinitiative über die Parteigrenzen sympathisch

Eine Initiative, die eine breite Zustimmung findet, und ein Gegenvorschlag, der nicht durchschlägt: Die VOX-Analyse von Politikwissenschaftlern der Universität Bern zeigt, warum die Ausschaffungsinitiative der SVP angenommen wurde.

Von Bettina Jakob 24. Januar 2011

Das Ergebnis war historisch: Im November 2010 nahm das Schweizer Volk erstmals eine Initiative in der Ausländerpolitik an. Der Erfolg der Ausschaffungsinitiative der SVP beruht auf der konsequenten Unterstützung durch die SVP-Sympathisantinnen und -Sympathisanten, von denen 98 Prozent ein Ja in die Urne legten. Das hat die VOX-Analyse, eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Nachgang zu den eidgenössischen Abstimmungen, ergeben. Durchgeführt wurde die Analyse von der Universität Bern rund um den Politikwissenschaftler Adrian Vatter.


Sie präsentierten die VOX-Analyse: Thomas Milic, Adrian Vatter und Claude Longchamp. (Bild: Manu Friederich)

Die drei Erfolgsfaktoren einer Initiative

Um Erfolg zu haben, muss eine Volksinitiative neben der konsequenten Unterstützung in den eigenen Reihen auch die Stimmen aus anderen Parteien gewinnen – und ein allfälliger Gegenentwurf darf für niemanden richtig interessant sein: «Die SVP-Ausschaffungsinitiative erfüllte diese drei Faktoren», sagte Politikwissenschaftler Thomas Milic vor den Medien. Das Begehren fand neben dem klaren Ja der SVP auch Zuspruch in bürgerlichen Kreisen; jeder zweite Stimmende aus den Reihen der FDP nahm die Vorlage an, und mit 37 Prozent sprach sich auch eine starke Minderheit der CVP-Anhängerschaft zugunsten der Initiative aus.

Halbherzige Unterstützung für den Gegenentwurf

Der Gegenentwurf war wenig attraktiv, wie die VOX-Analyse zeigt: Zwar verwarfen die SP-Anhängerinnen und -Anhänger die Initiative mit 88 Prozent wuchtig, sie zeigten sich aber dem Gegenentwurf gegenüber gespalten; die eine Hälfte stimmte Ja, die andere legte ein Nein ein. Auch CVP und FDP unterstützten den Gegenentwurf nur halbherzig. Zwar nahmen etwa zwei Drittel – 63 Prozent der CVP-Anhänger und 64 Prozent der FDP-Symphatisantinnen – die Vorlage an, doch waren dies gemäss Milic insgesamt zu wenige, da die SVP-Wähler den Gegenentwurf mit 94 Prozent massiv ablehnten.

Die überzeugenden Argumente

Zwei Argumente pro Initiative polarisierten stark: einerseits das Argument, wonach die konsequente Ausschaffung straffälliger Ausländer Sicherheit schaffe. Andererseits dasjenige, wonach einzig die Initiative – nicht aber der Gegenvorschlag – zu konsequenten Ausschaffungen führe. Die Ansichten dazu gingen gemäss VOX-Analyse zwischen der Initiativ-Befürworterschaft und der -Gegnerschaft weit auseinander. Weniger stark waren hingegen die Differenzen bei den Kontra-Argumenten: Selbst die Hälfte derjenigen, die Ja zur Initiative und gleichzeitig Nein zum Gegenentwurf stimmten, war der Ansicht, die Initiative verspreche mehr als sie umsetzen könne.

Das heisst: «Ein erheblicher Teil der Initiativ-Befürworterinnen und -Befürworter war nicht restlos überzeugt von der SVP-Initiative, stimmte ihr jedoch trotzdem zu», fasst Thomas Milic zusammen. Der Gegenentwurf war zum Scheitern verurteilt, weil er «weniger bekannt war und sowohl von links wie von rechts bekämpft wurde und bei den Mitte-Parteien nicht die Mehrheiten hatte, welche die Initiative bei der SVP erzielte», so Milic.

Gegenentwurf keine Waffe gegen Initiativen

Auch Politikwissenschaftler und Kommunikationsforscher Claude Longchamp kann aufgrund der Analyse des Meinungsbildungsprozesses vor der Absimmung Gründe für das Scheitern finden: Ein Meinungswandel gegen die Initiative und zugunsten des Gegenentwurfs sei im Fortlauf der Kampagne nicht richtig in Gang gekommen. Nur bei den FDP-Anhängern und CVP-Sympathisanten wurde die Zustimmungsbereitschaft zum Gegenentwurf erhöht. Umgekehrt verringerte sich lediglich bei den SP-Anhängern die Zustimmung für die Initiative.

Gegenentwürfe können gemäss Longchamp die Bekämpfung von Initiativen schwierig machen, weil sie es angesichts der Taktiken schwer hätten, angenommen zu werden – und weil die Initiative das Thema und dessen Lösung setze, welche nicht frontal angegriffen werden könne. «Die Haltung, dass Gegenentwürfe ein todsicheres Mittel gegen Volksinitiativen sind, muss begraben werden», so der Politik-Experte.

Immer kritischer gegenüber Ausländern und Behörden

Eine zusätzliche Auswertung des Stimmverhaltens bei ausländerpolitischen Volksabstimmungen seit Anfang der 1990er Jahre anhand von VOX-Umfragedaten macht deutlich: Vor allem linke Bürgerinnen und Bürger, die für eine weltoffene Schweiz sind, stimmen am ausländerfreundlichsten, während rechte und traditionsbewusste Bürgerinnen und Bürger gegenüber Migrantinnen und Migranten besonders kritisch eingestellt sind. «Frauen und Personen mit hoher formaler Schulbildung stimmen besonders stark für Ausländeranliegen», so Adrian Vatter vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Bern. Generell habe in den letzten Jahren die Erfolgsrate von Volksinitiativen im Allgemeinen zugenommen – und im Speziellen die Unterstützung der Behörden bei ausländerpolitischen Abstimmungen stark abgenommen.