Das Verbrechen muss sich lohnen
Wer Kriminalität bekämpfen will, muss wissen, wie Gangster denken. Einer, der sich in der Unterwelt auskennt, ist der bekannte «Milieu»-Anwalt Valentin Landmann. Er plädierte am Berner Forum für Kriminalwissenschaften dafür, Verbrechen nicht nur aus moralischer, sondern vielmehr aus ökonomischer Sicht zu betrachten.
«Es ist erwiesen, dass Bankräuber schneller schiessen als Juwelenräuber», sagt Valentin Landmann. «Greift der Juwelenräuber weniger schnell zur Waffe, weil er mehr Moral hat?» Der Strafverteidiger und Buchautor, der als Anwalt der Hells Angels, Prostituierter und anderer Randgruppen bekannt geworden ist, kennt sich in der Unterwelt aus. Er ermöglichte in seinem Vortrag, den das Berner Forum für Kriminalwissenschaften organisiert hat, einen Blick in eine Welt, «die nur scheinbar eine fremde Welt ist». Landmann vertritt nämlich die Ansicht, dass Kriminelle spiegelbildlich zur Gesellschaft nach den gleichen ökonomischen Gesetzen handeln und Gewinnmaximierung anstreben: «Im Grunde tickt ein erfolgreicher Gangster gleich wie ein effizienter Manager», so der Strafverteidiger.
Mit dem Unterschied, dass die Strukturen in der Unterwelt kurzfristiger und flexibler angelegt seien sowie bei Misserfolg «keine goldenen Fallschirme aufgehen und Sesselkleber nicht vorkommen». Wenig talentierte Verbrecher würden entweder ihr Leben verlieren oder im Knast landen, merkte der Anwalt lakonisch an. Er schilderte zur Illustration auch gleich «einen Management-Fehler» der Unterwelt: Ein gross angelegter Drogen-Schmuggel flog auf, weil das Kokain, das unter Erbsen in normalen Konserven versteckt war, nicht per Schiff, sondern in teurer Luftfracht und dann erst noch in abgelaufenen Dosen transportiert worden war.
Ökonomie der Kriminalität
Wenn es darum geht, Verbrechen aufzuklären oder zu verhindern, braucht es nach Landmann ein besseres Verständnis für die Mechanismen der Unterwelt-Märkte. Häufig entstünden Gesetze, ohne dass die Regeln der Marktwirtschaft berücksichtigt würden, die nicht nur die Ober- sondern auch die Unterwelt bestimmten. Der Strafverteidiger verweist zum Beispiel auf das Drogengeschäft. Trotz strenger Gesetze und teurer Spezialeinheiten, die Rauschgifthändler weltweit jagen, blüht der Drogenhandel wie kaum je zuvor. Dahinter steckt laut Landmann eine simple wirtschaftliche Logik: Erst die Verbote machen das Rauschgiftgeschäft lukrativ, denn jede Repressionsmassnahme treibt die Preise in die Höhe und sorgt damit für neue Anreize. «Es gibt also Gesetze, die falsche Akzente setzen und zur Quelle von kriminellen Aktivitäten werden, die sie eigentlich bekämpften wollten», erläuterte Valentin Landmann.
Wie sollte denn ein wirksames Gesetz aussehen? «Verbrechen lohnen sich in erschreckendem Ausmass. Erst wenn Gesetze helfen, Verbrechen unrentabel zu machen, hören Gangster mit ihrer Tätigkeit auf», erklärte der Jurist. In der kriminellen Welt stellten wirksame Verbote Risiken dar und diese seien Kostenfaktoren für die Gangster. Nach Erfahrungen von Landmann ist denn auch die Aufklärungsquote wichtiger als die Strafhöhe. «Wenn ein Räuber die Waffe zückt, leitet ihn nicht der Gedanke an die Höhe der Strafe, sondern vielmehr seine Einschätzung, wie hoch das Risiko ist, überhaupt erwischt zu werden», führte er aus.
Rotlicht-Milieu: Verbote begünstigen Zuhälter
Auch im Rotlicht-Milieu können Verbote gegenteilige Wirkungen haben. Valentin Landmann zeigte, dass bei Restriktionen und Prostitutions-Verbot am Schluss die anschaffenden Frauen die Leidtragenden sind und nicht – wie beabsichtigt – die Kuppler und Zuhälter. Denn durch die Illegalität steigen die Risiken, die sich in Form von zusätzlichen Kosten ausdrücken, beispielsweise die Bestechung des Portiers im Hotel, den Schutz durch einen Zuhälter oder Arrangements mit Polizisten – dies alles haben die Prostituierten zu finanzieren und geht ihnen am Erwerb ab. Weil in den 1980er Jahren diese Mechanismen durchschaut wurden, entstand in der Schweiz ein entsprechendes Gesetz, das die Selbstbestimmung der Prostituierten schützt. Dies hat dazu geführt, dass sich die Situation von Sexworkerinnen hierzulande wesentlich verbessert hat.
Ethik kann sich lohnen
«Auch Kriminelle können ethisch handeln, aber nicht aus moralischen Gründen, sondern weil es gut fürs Geschäft ist», sagt Landmann. So hat beispielsweise auch ein Gangster-Boss einen Ruf zu verlieren und schädigt die Geschäfte, wenn er seine Drogen-Kuriere schlecht behandelt. Ein professioneller Mafioso lässt das Entführungsopfer nach der Lösegeldzahlung wieder frei, denn er will ja noch weitere Geldübergaben durch Entführungen erpressen.
Nach diesen Ausführungen lüftete sich auch das Rätsel um den Juwelen- und Bankräuber. Der Bankräuber kann das geklaute Geld mit oder ohne Tote mühelos in den Geldkreislauf einbringen. Beim Juwelenräuber sieht die Sache anders aus: Wenn die Edelsteine im Zusammenhang mit Toten in den Medien bekannt werden, sinkt der Wert dieser Blut-Juwelen auf dem Hehler-Markt. «Es macht also wirtschaftlich Sinn, dass der Juwelenräuber Todesopfer vermeidet», so Landmann.