Der Sport-Profi hat den Gewinner-Blick
Im Fussball ist für einen guten Pass ein langer letzter Blick vor der Abgabe entscheidend. Dies haben Sportwissenschaftler der Uni Bern in ihrem hochmodern ausgerüsteten Sensomotorik-Labor gezeigt. Sportlerinnen und Sportler sollen sich nun dank spezifischen Übungen im Training verbessern.
Der Mittelstürmer hat den Ball erobert, auf zum Gegenangriff. Er sieht den gegnerischen Verteidiger auf sich zulaufen, derweil sich seine Mitspieler auf beiden Seiten freistellen. Innert Sekundenbruchteilen muss sich der ballbesitzende Stürmer entscheiden: Er passt nach links – und Schnitt, der Film stoppt. Die auf die Grossleinwand projizierte Spielsituation wird zwar mit derselben Ausgangslage, aber in der Folge leicht abgeändert wiederholt, die Versuchsperson macht sich erneut bereit. Dies ist eines der vielen Experimente, welche das Forschungsteam von Professor Ernst-Joachim Hossner im Sensomotorik-Labor des Instituts für Sportwissenschaft der Uni Bern durchführt.
Im 500'000 Franken teuren Labor können die Forschenden das komplexe Zusammenspiel zwischen Wahrnehmung und Bewegung einer Sportlerin online analysieren. Zehn Raum-Kameras fangen die Bewegung dank den am Körper der Versuchsperson befestigten Markern auf den Millimeter genau ein. Die kugelförmigen Marker registrieren die Bewegung und spiegeln sie wieder zur Kamera zurück. Gleichzeitig berechnen die Kraftmessplatten auf dem Boden die wirkenden Kräfte, und die am Kopf angebrachte helmartige Kamera erfasst die Blickbewegung mit bloss 0.5 Grad Abweichung. Alle drei Elemente werden dann am Computerbildschirm in Echtzeit zu einem dreidimensionalen Körpermodell zusammengesetzt. «Mit dieser Technik sind wir auf dem neusten Stand und weltweit absolut konkurrenzfähig in der sportwissenschaftlichen Bewegungsforschung», unterstreicht Hossner.
Ruhiger Blick als Talent
Die Ausstattung des Sensomotorik-Labors erlaubt es den Berner Sportwissenschaftlern, dank der grossen Wiederholungssätze in ihren Experimenten zufällige Schwankungen auszuschliessen und ihre Ergebnisse zu standardisieren. «Und dies ohne auf Realitätsnähe zu verzichten», wie Hossner betont. Erst in dieser komplexen Anordnung können die Forschenden Phänomene wie zum Beispiel den Vorteil der so genannten «Quiet-Eye-Duration» für Profisportler feststellen. Eine Spielerin, die vor der Passabgabe ihren letzten Blick relativ lange fixiert und dadurch viele Informationen aufnimmt, erhöht damit die Chancen einer korrekten Entscheidung, sprich, dass der Pass gut beim Empfänger ankommt. «Ein talentierter Passgeber ist also jemand, der dank einer angemessenen Blickstrategie die Informationsaufnahme optimiert hat», erläutert Hossner.
Differenzierte Körperwahrnehmung
Für Aussenstehende wirkt ein solcher Bewegungsablauf als «Automatismus». Hossner lehnt diese Bezeichnung aber entschieden ab: «Fussballspielerinnen und -spieler sind ja keine Automaten.» Vielmehr hätten sie aufgrund ihrer breiten Spielerfahrung ein gutes internes Kontrollsystem entwickelt, dank welchem sie auf Störungen vorausschauend reagieren könnten. Dieser stabile Ablauf würde sich für sie «automatisch» anfühlen und von aussen auch so aussehen. Im Gegensatz dazu wird die Körperbewegung eines Amateurs, der mit seinem Blick hin und her springt, als «hektisch» wahrgenommen. «Am meisten unterscheiden sich Profis und Amateure also dadurch, wie differenziert sie ihren Körper wahrnehmen und ihre Bewegungen darauf abstimmen», erklärt Hossner.
Aus dem theoretischen Befund der «Quiet-Eye-Duration» wollen die Sportwissenschaftler nun auch einen praktischen Nutzen für die Sportgemeinschaft ziehen. «Wir haben den Anspruch, spezifisch zugeschnittene Trainingsübungen zu entwickeln, damit die Sportler diese Fähigkeit ausbilden können», bestätigt Hossner. Dies sei im Volleyballtraining ansatzweise bereits gelungen. Sein Forschungsteam hat Blickbewegungen von Schweizer Spitzenspielern erhoben und aus den Daten erfolgreiche Strategien für die Ballabwehr entwickelt. So könnte beispielsweise eine Spielerin durch dass Training im Sensomotorik-Labor Sofortrückmeldungen erhalten, wenn ihre aktuelle Blickstrategie von der optimalen abweicht.
Alle «schnellen» Sportarten vertreten
So wird klar, dass das Sensomotorik-Labor nicht nur für Fussball-Experimente Platz hat. «Grundsätzlich ziehen alle Sportarten, in welchen schnelle Entscheidungen und Präzisionsleistungen gefordert sind, einen Nutzen von unserer Entwicklung», sagt Hossner. Im Labor steht etwa ein Golfsimulator, der zum Beispiel Schlagwinkel oder Ballgeschwindigkeit beim Putten misst. Auch für die Zukunft ist das Labor gerüstet: Noch im Verlauf dieses Jahres sollen 16 Akustik-Boxen sowie eine 3D-Projektion installiert werden. «In der internationalen Bewegungsforschung geht der Zug eindeutig in Richtung virtuelle Realität – da wollen wir dabei sein», freut sich Hossner.