Ein Berner Forscher im afrikanischen Eis

Am Oeschger-Zentrum der Uni Bern wird ein wissenschaftlicher Streitpunkt geklärt. Der Doktorand Alexander Zapf bestimmt mit Hilfe einer innovativen Datierungsmethode das wirkliche Alter der Kilimandscharo-Gletscher.

Von Kaspar Meuli 29. Dezember 2011

Von diesem Abenteuer wird Alexander Zapf noch seinen Grosskindern erzählen: eine veritable Expedition! Zelte und Proviant, 30 Träger, ein Koch mitsamt mobiler Küche und natürlich Simon Mtuy, der Führer und ehemalige Rekordhalter im Kilimandscharo-Sprint – er schaffte den Aufstieg zum Gipfel in sagenhaften sechs Stunden. Die sechsköpfige Forschungsequipe, zu welcher der Doktorand Alexander Zapf vom Oeschger-Zentrum, das interdisziplinäre Kompetenzzentrum für Klimaforschung der Universität Bern, gehörte, nahm es da im September 2011 etwas gemächlicher: Sie bewältigte die 4000 Höhenmeter auf das Dach Afrikas über die sogenannte Umbwe-Route in sechs Tagen.

Alexander Zapf
Betreibt abenteuerliche Forschung: Alexander Zapf. Bilder: Zvg

Ihr Ziel: das nördliche Eisfeld, rund 100 Meter tiefer gelegen als der Kibo, der mit 5895 Metern höchste Gipfel des Kilimandscharo-Massivs. Dort ging die Arbeit erst richtig los: Und zwar auch bei Wind und Wetter. Die Wissenschaftler seilten sich über eine 35 Meter hohe Eiswand des Plateaugletschers ab und bohrten mit einem Akkubohrer horizontale Proben aus dem Eis. 48 Kerne in drei Tagen.

Spannender Forschungsauftrag

Zurück in seinem Büro im Labor für Radio- und Umweltchemie der Universität Bern erzählt der aus Bayern stammende Alexander Zapf mit Begeisterung von seiner Afrikareise. Doch der Forscheralltag, so relativiert er gleich, sehe meist ziemlich anders aus: «Feldarbeit sind die Schmankerl, von denen man gerne erzählt, aber mindestens 90 Prozent meiner Zeit verbringe ich im Labor oder vor dem Rechner.» Zapf gehört zur Gruppe für analytische Chemie von Margit Schwikowski am Oeschger-Zentrum.

Mit Hilfe einer neuen Datierungsmethode soll der Doktorand das Alter des Kilimandscharo-Eises bestimmen – und damit einen wissenschaftlichen Zwist klären: Die Ansichten über das Alter der letzten verbleibenden grösseren Gletscher Afrikas gehen nämlich erheblich auseinander. Lonnie Thompson, ein renommierter Paläoklimatologe von der Ohio State University, der tropische Gletscher als Klimaarchive nutzt, ist überzeugt, das Kilimandscharo-Plateau sei seit rund 12000 Jahren permanent vergletschert gewesen. Der Spezialist für tropische Glaziologie Georg Kaser von der Universität Innsbruck hingegen, argumentiert mittels modellgestützter Rekonstruktionen und meint, die Gletscher am Kilimandscharo seien periodisch gewachsen und geschrumpft. Ihre Lebenszyklen hätten nur wenige hundert Jahre betragen, und vor rund 800 Jahren seien sie sogar ganz verschwunden gewesen.

Forscher bohrt an einer Eiswand, im Seil hängend
Gletscherforschung für Schwindelfreie: Bohrung im alpinen Stil an der Eiswand des Plateaugletschers auf dem Kilimandscharo.

Indikator für globale Klimaänderung

Die korrekte Datierung des Kilimandscharo-Eises ist nicht etwa bloss aus wissenschaftlicher Neugier interessant. Sie ist für das Verständnis der tropischen Zirkulation wichtig und als Indikator für die globale Klimaänderung. Soviel allerdings scheint bereits heute festzustehen: Das dramatische Schrumpfen der afrikanischen Gletscher hat nicht nur mit der Klimaerwärmung zu tun, sondern auch mit dem veränderten Feuchtigkeitstransport. Auf dem Gipfel des Kilimandscharo ist es so trocken, dass das Eis laufend sublimiert, das heisst, es geht direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über.

Die Altersfrage klären will Alexander Zapf mit Hilfe der 14C-Datierung. Eine Methode, die bereits seit Jahrzehnten zur Altersbestimmung eingesetzt wird, doch bei Gletschereis stiess man damit bislang schnell an Grenzen. Eine Analyse war nur anhand von zufällig im Eis eingeschlossenem organischem Material möglich, Insekten beispielsweise. Die Gruppe für analytische Chemie am Oeschger-Zentrum hat nun aber ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, im Eis abgelagerte kohlenstoffhaltige Aerosole zu isolieren und in einer Messanlage zu analysieren. «Wir sind weltweit die ersten», sagt Alexander Zapf, «die versuchen, routinemässig 14C-Datierungen an Gletschereis durchzuführen.»

Resultate in einem Jahr

Was einfach tönt, ist in der Laborrealität ein aufwendiger Prozess: Zuerst werden die Eisproben am Paul Scherrer Institut zersägt und an der Oberfläche gereinigt. An der Universität Bern wird das Eis dann geschmolzen und filtriert. Die zurückbleibenden Partikel werden in reinem Sauerstoff verbrannt, wobei CO2 entsteht, das in einer sogenannten Kältefalle aufgefangen wird und schliesslich analysiert werden kann. Und zwar in einem Beschleunigermassenspektrometer an der ETH in Zürich. Demnächst werden die Eisdatierer auch am Oeschger-Zentrum mit diesem MICADAS (MIni radioCArbon DAting System) genannten Gerät arbeiten können, aber noch ist Alexander Zapf viel quer durch die Schweiz unterwegs. Mit dem Zug und mit kleinen Probenbehältern voller wertvoller Informationen über das Kilimandscharo-Eis in der Tasche.

Gletscher
Die Kilimandscharo-Gletscher werden in 30 Jahren verschwunden sein - aufgrund steigender Temperaturen und zunehmender Trockenheit.

Die Resultate seiner Arbeit, die Ende 2012 vorliegen sollten, werden von den Forschergemeinden der Paläoklimatologen und der Glaziologen gleichermassen ungeduldig erwartet – nicht nur weil damit die Kontroverse um das Alter der Kilimandscharo-Gletscher in eine nächste Runde geht. Allen Forschern, die sich mit den afrikanischen Gletschern beschäftigen, ist nämlich klar, dass die Zeit drängt. In 20, spätestens in 30 Jahren wird auch das letzte Eis am höchsten Gipfel Afrikas verschwunden sein.