Ein Forscher auf der Überholspur

Leben auf der Überholspur oder «Life in the fast lane» – der Titel des Vortrags, den der Theodor Kocher-Preisträger Mark van Kleunen am 3. März hält, trifft auf den Biologen und seine Arbeit gleichermassen zu.

Von Martina Bisculm 28. Februar 2011

Eine Wissenschaftsdisziplin im Aufwind: Erst ein paar Jahrzehnte alt, hat sich die Invasionsbiologie rasch etabliert. Im Zuge der weltweiten Klimaveränderungen sind invasionsbiologische Fragestellungen hochaktuell. «Die Ergebnisse sind auch angewandt von Bedeutung», erklärt Mark van Kleunen das grosse Interesse an seinem Fach. Er macht wissenschaftliche Experimente unter genau kontrollierten Bedingungen, um die weit reichende Frage zu klären, wie sich gebietsfremde Pflanzen verhalten, wenn sie in ein Ökosystem eingeschleppt werden. Gärtner, auf deren Boden sich unerwünscht Goldruten ausbreiten oder Allergiker, denen Ambrosia-Pollen das Leben schwer machen, kennen das Problem aus dem täglichen Leben. Andere Pflanzen wie das drüsige Springkraut überwuchern innerhalb von wenigen Jahren ganze Böschungen und verdrängen alle anderen Pflanzen.


Experimente unter natürlichen Bedingungen geben Aufschluss über das Verhalten invasiver Pflanzenarten: Mark van Kleunen (links) und seine Mitarbeiter bei der Feldarbeit. (Bild: Mark van Kleunen) 

Auf der Suche nach den Faktoren

Die Invasivität einer Art hänge je nach Standort, Nachbarpflanzen und Umweltbedingungen von immer wieder anderen, sogenannt idiosynkratischen, Faktoren ab – so lautete bislang die Lehrmeinung. «Um diese Faktoren für jeden Einzelfall zu bestimmen, haben Forscher lange nur die invasiven Arten isoliert studiert», sagt van Kleunen. Dabei seien die Interaktionen mit einheimischen Arten zentral. Der gebürtige Niederländer verfolgt deshalb einen vergleichenden Ansatz. Seine Mitarbeiter ziehen zum Beispiel mehrere invasive Arten in direkter Nähe zu einheimischen und versuchen, herauszufinden, wie die Pflanzen reagieren, wenn plötzlich mehr Nährstoffe zur Verfügung stehen. Dies ist beispielsweise bei überdüngten Flächen der Fall.


In diesen Töpfen züchtet van Kleunen verschiedene Pflanzenarten und vergleicht ihr Wachstum miteinander. (Bild: Mark van Kleunen)

Neue Experimente schafften Klarheit

Mit Hilfe solcher Konkurrenzexperimente hat van Kleunen Erstaunliches herausgefunden: Es sind meistens die gleichen Faktoren, welche für eine invasive Pflanze von Vorteil sind. Das Erfolgsrezept lautet: die einheimischen Pflanzen überholen. «Rasche Besiedlung von neuen Standorten, schnelles Wachstum und frühe Fortpflanzung kennzeichnen viele invasiven Arten», sagt der Biologe. Invasive profitieren also etwa von Überdüngung, weil sie die zusätzlichen Nährstoffe schneller umsetzen können – auf Kosten der einheimischen Arten. Wenn sich eine eingeschleppte Pflanze dazu noch unabhängig von den immer seltener werdenden Bestäuber-Insekten durch vegetative Ableger oder unterirdische Wurzelsprosse vermehren kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich im neuen Lebensraum unkontrolliert ausbreitet. Dank van Kleunens Experimenten kann dieses Risiko vorausgesagt werden, bevor eine Pflanze importiert oder ausgesetzt wird. Für seine herausragenden Erkenntnisse hat der Biologe den Theodor Kocher-Preis 2010 erhalten.

Von Holland über Südafrika nach Bern

Auch Mark van Kleunen befindet sich auf der Überholspur. Der erst 37-jährige Wissenschaftler ist in Holland geboren, doktorierte in Zürich und gelangte anschliessend über Vancouver und Südafrika nach Potsdam, wo er in der Gruppe von Markus Fischer forschte. 2007 folgte nach einer kurzen Rückkehr an die Stellenbosch University in Südafrika der Umzug mit Fischers Gruppe nach Bern ans Institut für Pflanzenwissenschaften. Ab diesem Semester baut van Kleunen an der Universität Konstanz als Professor eine eigene Forschungsgruppe auf. In Zukunft will er vor allem die Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung auf einheimische und eingeführte Pflanzen untersuchen.
Den invasiven Arten begegnete van Kleunen bereits in Südafrika. Dort sah er auch, welche Dimensionen das Problem annehmen kann. In Südafrika sind die Eindringlinge schon länger ein Thema als bei uns. Sie besiedeln jedes verfügbare Stück Boden. Besonders zahlreich gedeihen sie in den Grünstreifen der Autobahnen – entlang der Überholspur.

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