«Eine Ethik à la carte gibt es nicht»
Der Philosoph Klaus Peter Rippe stellte auf Einladung des «Bern Immunology Club» im Theodor-Kocher-Institut der Universität Bern die moderne Bioethik vor. Diese Wissenschaftsdisziplin geht – vereinfacht gesagt – der Frage nach, was «richtig» und was «falsch» ist.
«Es geht nicht nur darum, für oder gegen etwas zu sein, sondern seine Meinung zu rechtfertigen und dabei schlüssig zu argumentieren», sagte Klaus Peter Rippe. Der Philosoph unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, an der Fachhochschule Nordwestschweiz und an der VetSuisse und ist Geschäftsführer eines Ethikbüros in Zürich. Anhand der fünf brisanten Themen Sterbehilfe, Anti-Aging-Forschung – die das menschliche Leben immer weiter verlängert –, genetische Diagnostik bei Ungeborenen, Stammzellenforschung und Tierversuche zeigte er den rund 60 Zuhörenden die beiden Gesichter der modernen Bioethik auf.
Die beiden wichtigsten, von US-amerikanischen Philosophen geprägten Strömungen können unter den Begriffen «Ethik des Lebens» und «Ethik des Todes» zusammengefasst werden. Fern von Dogmen oder Denkverboten zeigte Rippe die jeweilige Argumentation auf – der Berufsphilosoph lieferte aber keine Empfehlung oder gar Antwort auf die Frage nach dem «richtigen» Handeln. Aus ethischer Sicht müsse man konsequent argumentieren und seine Prinzipien auf alle fünf Gebiete anwenden, sagte Rippe: «Es wäre einfacher, wenn man in jeder Frage einzeln wählen könnte, aber so etwas wie eine ‹Ethik à la carte› gibt es nicht.»
Zwei Sichtweisen
Die «Ethik des Todes» vertritt die Sicht, dass jedem Menschen die Entscheidung darüber zusteht, wie und ob er leben oder sterben will. Demgegenüber steht die «Ethik des Lebens», die postuliert, dass niemand eine Entscheidung über Leben oder Sterben eines menschlichen Wesens treffen darf. Beide Strömungen beanspruchen die Deutungshoheit über grundlegende Fragen der menschlichen Existenz. Damit stehen sich zwei Orthodoxien gegenüber, so Rippe. Die erste, naturalistische fusst auf der säkular-liberalen Tradition, die zweite, idealistische auf der jüdisch-christlichen Tradition.
Gut an sich oder gut für jemanden
Vertreter der «Ethik des Todes» akzeptieren nur Dinge, die entweder sichtbar oder mit naturwissenschaftlichen Methoden messbar sind. Eine Seele, Gott oder allgemeingültige Werte wie zum Beispiel moralische Kategorien gehören nicht dazu. Aus dieser Sicht sei nichts per se gut, sondern nur gut für einen bestimmten Menschen – auch das Leben selbst, so Rippe. Konsequenterweise dürfte nach dieser Sichtweise, die vom Philosophen Epikur geprägt wurde, ein Mensch das Leben auch ablehnen. Anhänger der «Ethik des Lebens» dagegen messen dem Leben oder bestimmten Moralvostellungen sehr wohl einen Wert an sich bei, und die Entscheidung über Leben oder Sterben ist ihrer Ansicht nach dem Menschen entzogen. Vertreter dieser Sicht wären Platon, Aristoteles oder ein paar Jahrhunderte später Kant.
Konsequente Argumentation
Die beiden Orthodoxien stehen sich diametral gegenüber. Für Vertreter der «Ethik des Todes» ist Sterbehilfe, Anti-Aging-Forschung, genetische Diagnostik und Stammzellenforschung erlaubt. Nicht erlaubt dagegen sind Tierversuche. Die «Ethik des Todes» misst dem Menschen keine besondere Stellung bei, er ist lediglich ein spezielles Tier. Dass Tiere für Menschen sterben müssten sei für die Vertreter dieser Sicht hinnehmbar, so Rippe, denn sie akzeptierten den Tod als etwas Notwendiges. Nicht vertretbar sei dagegen, dass Tiere für Menschen leiden müssten, da die beiden Gruppen sich nicht prinzipiell voneinander unterscheiden und kein Lebewesen zum Nutzen eines anderen gequält werden sollte. Anders sieht es für die «Ethik des Lebens» aus: Ihre Vertreter stellen sich gegen Sterbehilfe, Anti-Aging-Forschung, genetische Diagnostik und Stammzellenforschung, befürworten aber Tierversuche, denn der Mensch hat aus ihrer Sicht eine Sonderstellung, und um das menschliche Leben zu erhalten, sind Tierversuche erlaubt.
Klaus Peter Rippe, der Mitglied diverser Ethikkommissionen ist, gab keiner der beiden Sichtweise den Vorzug. Sein Referat zeigte aber, wie viele Fragen im Kontext der biologischen und medizinischen Forschung offen stehen.