Klüger säen um besser zu ernten

Die Wissenschaft liefert laufend neue Resultate aus der Landwirtschaft – dennoch hungert immer noch eine Milliarde Menschen. Forschende mahnten an einer Tagung des «Center für Development und Environment» (CDE) der Universität Bern und Swissaid zum Richtungswechsel.

Von Bettina Jakob 22. September 2011

Zwei Dias reichten aus, um ein Bild der heutigen Landwirtschaft zu zeichnen: Eine Bergbauer-Familie mäht Gras am steilen Hang – von Hand mit Sense. Und: Ein moderner Landwirt sitzt hoch auf seinem Hightech-Mähdrescher und fährt allein über das goldene Weizenfeld. Diese Dichotomie – Kleinbauern und Grossbetriebe – prägt die Landwirtschaft rund um den Globus und widerspiegelt schliesslich die Problematik der ungenügenden Ernährungssicherheit. Hans Hurni, Präsident des «Centre for Development and Environment» (CDE) der Universität Bern und Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunktes NFS Nord-Süd, erklärte an einer gemeinsamen Tagung von CDE und Swissaid, warum die globale Landwirtschaft auch in Zukunft nicht ohne die Kleinbauern auskommt.

Afrikanische Kleinbauern tragen grosse Getreidebüschel den Berg hinauf
Die Bauern der Grossbetriebe ernten mit Maschine, die Kleinbauern von Hand. Bild: istock

Das Ziel – multifunktionale Landwirtschaft

Drei Viertel des Getreides weltweit werden durch Grossbetriebe gewonnen. Doch von den rund 2,6 Milliarden Menschen, welche in der Landwirtschaft tätig sind und die insgesamt rund 1600 Millionen Hektaren Kulturland bestellen, sind 99 Prozent Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Geograph Hurni weiss um das Potenzial, das in diesen steckt: Angenommen, die Kleinbauern dieser Welt könnten einen Ertrag erwirtschaften, der nicht nur knapp für den Selbstbedarf reicht, sondern zum Teil auch für den Verkauf, würde das wichtige Türen öffnen – nicht nur für eine ökonomische Besserstellung der kleinen Landwirte. Dadurch könnten nämlich auch Investitionen in Richtung einer multifunktionalen Landwirtschaft getätigt werden, die auch mit ökologischen und sozialen Werten einhergeht. Vielerorts wird heute nach wie vor Raubbau betrieben – es wird produziert, bis der Boden erodiert: «Ein Drittel der Böden in Äthiopien ist längst minderwertig», so Experte Hurni.

Eine Milliarde Menschen hungert

Agrarforschung muss mehr können als die Mehrproduktion von Getreide sicherzustellen – wenn sie das überhaupt täte: Seit rund zehn Jahren stieg die globale Getreideproduktion im Gegensatz zur Fleischproduktion nicht mehr an. Es ist zwar pro Kopf global gesehen insgesamt mehr Nahrung vorhanden, «aber es hungert wie schon vor zehn Jahren immer noch eine Milliarde Menschen», so Hurni. Es interessiere nicht, dass dies prozentual auf die wachsende Weltbevölkerung weniger sei: Eine Milliarde sei eine Milliarde zuviel.

Hans Hurni beim Referat
Ein Plädoyer für die mulitfunktionale Landwirtschaft: Hans Hurni vom CDE. Bild: Swissaid

Wichtig für eine gesündere Entwicklung in der Nahrungsmittelproduktion sei einerseits das möglichst schnelle Abbremsen der Klimaerwärmung, da eine Erwärmung um ein paar Grad Celsius verheerende Folgen für die Produktivität habe – wie vielerorts die Überflutungen durch den Anstieg des Meeresspiegels bereits ankündigen. Andererseits sollte die richtige Saat auf die Äcker gelangen: Was bringt es, 10 bis 20 Prozent der Flächen für Biotreibstoffe zu reservieren? «Wollten wir die fossilen Rohstoffe damit wirklich ersetzen, dann bräuchte es die doppelte der existierenden Landwirtschaftsfläche», so Hurni. Die besseren Alternativen seien Wind, Sonne und Wasser.

Um die Produktivität der Kleinbauern zu steigern, muss die Forschung Grundlagen und Wissen aus den verschiedensten Zweigen hervorbringen: Es braucht unter anderem eine bessere Infrastruktur, nachhaltige Anbaumethoden, gute Transportsysteme, Einflussnahme auf Markt und Politik. Letztere habe einen wesentlichen Einfluss auf die Ernährungssicherheit, wie Hans Hurni mit Verweis auf die tragische Lage in Somalia und angrenzende Staaten sagte.

Es gibt nicht nur eine Logik

Und es braucht altes Wissen. Das ergänzte die Molekularbiologin Assétou Samake aus Mali. Wissen, welches nur die lokalen Bäuerinnen und Bauern haben, muss für einen erfolgreichen Richtungswechsel in die Agrarforschung einbezogen werden. Samake gab folgendes Beispiel: Zurzeit würden falsche Traktoren über Malis Äcker fahren und die Böden zu tief pflügen. Die Maschinen sind nicht richtig an die vorherrschende Bodenstruktur angepasst. Und, so Samake weiter, es brauche Kultur: «Die Landwirtschaft hat etwas sehr Kulturelles, schliesslich wurde sie durch unsere Vorstellungen geschaffen», so die Molekularbiologin. Kultur, Umwelt und Wirtschaft seien früher in die landwirtschaftliche Produktion integriert gewesen; heute beherrschten eine Handvoll der grössten Saatgut- und Agrarchemiekonzerne den Agrarmarkt.

Assétou Samake am Rednerpult
«Landwirtschaft ist auch Kultur», sagt Assétou Samake aus Mali. Bild: Swissaid

Für Assétou Samake ist klar, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nicht nur Geld bringen muss. Das «Wesen der Landwirtschaft» ist viel komplexer. Sie forderte die moderne Wissenschaft dazu auf, in diesem Sinne verschiedene Geisteshaltungen zusammenzuführen und daraus Grundlagen zu schaffen, die zu Ernährungssicherheit und Erhaltung der Umwelt führen. Denn: «Alles beginnt im Kopf.»

Oben