Laufsport ist Herzenssache

Rennen bis zum Umfallen: Damit das nicht geschieht, sollten leistungsorientierte Ausdauersportler regelmässig einen Checkup machen. Wie eine Berner Studie zeigt, sind gerade Marathonläufer am gefährdetsten, ein Vorhof-Flimmern zu entwickeln.

Von Bettina Jakob 25. Februar 2011

Sie sind die zähesten von allen. Angetrieben von vielbewunderter Hartnäckigkeit ziehen sie über 42 Kilometer dem Ziel zu. Ihre strammen Muskeln anpeitschend, ihre sehnigen Körper vorwärts werfend, beschleunigen sie zu einer schier unmenschlichen Laufzeit: die Marathonläufer. Ausgerechnet sie, die Könige des Laufsports, sollen gefährdet sein, ein Flimmern im Herz-Vorhof zu bekommen. Das zeigt eine Studie von Matthias Wilhelm von der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital. Doch der Sportkardiologe relativiert die Resultate gleich vorne weg: «Nur ein kleiner Teil leistungsorientierter Läufer zwischen 40 und 50 Jahren entwickelt dieses Herz-Gefäss-Krankheitsbild.» Er betont weiter, dass das Vorhof-Flimmern nicht etwa mit dem Herzkammer-Flimmern zu verwechseln sei, das zum plötzlichen Herztod führen könne. Das Vorhof-Flimmern sei nicht ein «böses Phänomen», aber für den Ausdauersportler gleichwohl ein Problem, da dadurch seine Leistung massgeblich vermindert und seine Regenerationszeit verlängert werde.

Foto von Läuferinnen und Läufern am Grand Prix von Bern
Läufer kämpfen sich über den Grand Prix von Bern. Bild: Daniel Werthmüller/zvg

Die Muskeln im Herzen

Marathonläufer sind gefährdeter als gemässigtere Ausdauersportler? Das verlangte nach einer gründlichen Erklärung, die Wilhelm der zahlreichen Zuhörerschaft während der Studienpräsentation lieferte. Sie liegt in der Anatomie des Herzens: Im normalen Blutkreislauf wird das Blut vom linken Vorhof in die linke Herzkammer gepumpt. Eingeleitet wird dies mit der Kontraktion des Vorhofmuskels, welche durch einen elektrischen Impuls zustande kommt. Dieser Impuls kann schliesslich im Elektrokardiogramm (EKG) abgelesen und auf die Stärke und Dauer analysiert werden.

Ein Vorhof-Flimmern entsteht, wenn die elektrische Erregung länger braucht, um die Vorhofmuskeln zu stimulieren; der Impuls ist in der Folge zu wenig stark, um die ganze linke Herzkammer mit Blut zu füllen – das Vorhof-Flimmern ist da. Leistungsorientierte Ausdauerläufer haben durch ihre vielen Trainingsstunden all ihre Muskeln aufgebaut – auch denjenigen des linken Vorhofs: «Die elektrische Erregung kann einen verdickten Muskel weniger gut erfassen als einen dünneren», so Wilhelm. Zunehmende Trainingsdauer kann gemäss Studie die Herzstruktur demnach so verändern, dass das Vorhof-Flimmern begünstigt wird. 4 von 60 Probanden im Alter von durchschnittlich 42 Jahren, die am letztjährigen Grand Prix von Bern rekrutiert wurden, leiden an diesem Phänomen – das sind 6,7 Prozent. Besonders betroffen sind Läufer, die schon einige Marathons bewältigt haben. Das heisst: Je mehr Kilometer auf dem Buckel, desto höher das Risiko, dass ein Vorhof-Flimmern auftreten kann.

Frauen haben keine Probleme

In dieser Herzenssache gibt es ausserdem einen Geschlechterunterschied. «Frauen sind von diesem leistungsabhängigen Vorhof-Flimmern kaum betroffen», sagt Matthias Wilhelm. Das zeigte eine analoge Untersuchung von Herz- und Blutwerten von Marathonläuferinnen und Sportlerinnen ohne Marathon-Erfahrung. Wilhelm führt dies auf die relativ kleinere Muskelmasse des weiblichen Körpers zurück: «Das bedeutet auch ein kleinerer Vorhof-Muskel und damit eine bessere Leitbarkeit der elektrischen Impulse», so der Sportkardiologe. Ursache könnte aber auch der Blutdruck sein, der bei den untersuchten Männern nach einer Trainingseinheit höher war als bei den Athletinnen. Dies sei Ausdruck einer ausgeprägteren Stimulation des männlichen Körpers durch Adrenalin, vermutet Wilhelm, ein «Jäger-Symptom» des Mannes.

Blutdruck kontrollieren

Ist Sport für fitte Männer noch gesund? Natürlich, findet Matthias Wilhelm, das untersuchte Phänomen sei ja «sehr selten und betrifft nur extreme Marathonläufer». Grundsätzlich reduziere der Ausdauersport das Risiko von Herzkreislauf-Erkrankungen, aber Wilhelm empfiehlt für folgende Personen einen Checkup: für den Gesundheitsläufer, der bisher noch nie regelmässigen Sport getrieben hat und für den «ambitionierten Läufer, der wetteifert und sich selbst immer wieder an persönliche Limits bringt». Wichtig sei es, seinen Blutdruck zu kennen. Durch extreme körperliche Betätigung kann nämlich das Gefässsystem überbelastet werden und aufgeplatzte Fett- und Kalkablagerungen können Koronargefässe gefährden. Die Botschaft des Sportforschers an die Läuferschaft: «Ausdauersportler sollten ihren Blutdruck regelmässig kontrollieren und bei erhöhten Werten medikamentös behandeln.»

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