Direkte Demokratie macht den religiösen Minderheiten zu schaffen

Eine Studie der Politikwissenschaftler der Uni Bern zeigt: Die Gleichstellung religiöser Minderheiten wird in der Schweiz behindert – durch die Instrumente der viel gepriesenen direkten Demokratie.

Von Bettina Jakob 02. Februar 2011

Direkte Demokratie ermöglicht dem einen die aktive Mitgestaltung der Politik in der Schweiz – aber dem anderen erschwert sie das Leben: Eine Studie von Adrian Vatter, Politikwissenschaftler an der Uni Bern, zeigt, dass die Instrumente der direkten Demokratie – die Volksinitiative und das Referendum – die Gleichstellung der religiösen Minderheiten erschweren. Vatter hat im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» 21 Abstimmungen über Anliegen von religiösen Minoritäten in den letzten 120 Jahren untersucht. Seine Ergebnisse stellt der Wissenschaftler nun in seiner neuen Publikation «Vom Schächt- zum Minarettverbot. Religiöse Minderheiten in der direkten Demokratie» vor.


Licht und Schatten in der direkten Demokratie: Anliegen von religiösen Minderheiten werden gebremst. (Bild:Parlamentsdienste)

Die Anliegen dem Volk anders vorlegen

Die Resultate zeichnen ein deutliches Bild: Die meisten Beschlüsse des Schweizer Volkes verzögerten die Gleichstellung von religiösen Minderheiten, teilweise führten sie sogar zu strengeren Gesetzen. Die Gründe dafür sieht das Forschungsteam einerseits in der Strategie der Behörden während des parlamentarischen Prozesses: Die Rechte der religiösen Minderheiten wurden zwar von der politischen Elite anerkannt, aber die Politikerinnen und Politiker rangen sich selten zu einem Entscheid durch, da sie das Referendum und den damit verbundenen Abstimmungskampf fürchteten. Adrian Vatter empfiehlt den Behörden deshalb, dem Volk Vorlagen über Minderheiten im Rahmen ganzheitlicher Verfassungsrevisionen vorzulegen, damit die öffentliche Diskussion nicht auf emotionaler Ebene geführt werde. Nicht möglich sei diese Strategie jedoch bei Volksinitiativen.

Emotionaler, weniger juristisch

Auch die Wertehaltung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wirkt sich auf die Abstimmungen aus: Die traditionell orientierte Wählerschaft spricht sich häufig aus Angst vor dem Fremden und dem Verlust der schweizerischen Kultur gegen religiöse Minderheiten aus. Die Berner Forschenden empfehlen, solche Ängste ernst zu nehmen und im Abstimmungskampf nicht «rein juristisch» zu argumentieren. «Sonst steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Stimmenden gegen die Minderheit entscheiden», schreiben die Politikwissenschaftler – so geschehen kürzlich bei der Minarett-Initiative.

Muslime haben es doppelt schwer

Wichtig ist gemäss Studie auch das Image der betroffenen religiösen Minderheit: Vertritt diese fremde Wertvorstellungen und ist schlecht integriert, hat sie kaum eine Chance, beim Schweizer Volk für ihr Anliegen Gehör zu finden. «Als nichtchristliche Minderheit und Ausländer sind Muslime davon gleich doppelt betroffen», steht in der Zusammenfassung der Studie. Erfolg auf ein positives Abstimmungsergebnis könne höchstens durch eine aktive Teilnahme am Abstimmungskampf angestrebt werden.

Die Beispiele Katholiken und Juden

Allerdings sind nicht etwa nur Angehörige fremder Religionsgemeinschaften von Volksentscheiden betroffen, die für sie negativ ausfallen. Politikwissenschaftler Vatter führt das Beispiel der Katholiken an, die bis ins 20. Jahrhundert benachteiligt waren: 1874 wurde den Katholiken in einer Volksabstimmung über die Totalrevision der Bundesverfassung verboten, neue Orden und Klöster zu gründen. Dieser Klosterartikel wurde erst 1973 wieder aufgehoben – und zwar in einer knappen Abstimmung.

Auch die Schweizer Juden waren von Einschränkungen betroffen: Die erste Bundesverfassung von 1848 gewährte ihnen nicht die gleichen Rechte wie den Christen und beschnitt ihre Glaubens- und Niederlassungsfreiheit. Erst 1874 erhielten die Juden die gleichen Grundrechte – gemäss Studie im internationalen Vergleich zu einem späten Zeitpunkt. Zwanzig Jahre später wurden diese Rechte aber mit der Annahme einer Verfassungsinitiative gegen das Schächten wieder eingeschränkt.