Forschen bis zur Geisterstunde

Hochzeitsrituale, Mundflora, Geschlechterfragen, Bankrecht, Weltraumschrott, Herzphysiologie, Angst, Gebirgsentstehung, Handelsabkommen. An der Uni Bern entsteht vielfältiges Wissen. Ein kleiner Streifzug durch die «Nacht der Forschung».

Von Bettina Jakob 25. September 2011

Ein kleines Poker-Spielchen zum Aufwärmen – das kommt gerade richtig. Mit einem Einsatz, der frech kitzelt: Es geht um nichts Geringeres als um das Klima auf der Erde. Ein «Full House» sollte also her. Die farbigen Würfel sind etwas gewöhnungsbedürftig, tausend Mal grösser als ein Spielwürfel, und sie sind gespickt mit Elektronik. Kaspar Meuli, Öffentlichkeitsverantwortlicher des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung erklärt: Die fünf Würfel repräsentieren Faktoren, die unser Wetter machen. Der gelbe Würfel symbolisiert die Sonneneinstrahlung, andere den Luftdruck, den Vulkanismus, das Zusammenspiel von Ozean und Atmosphäre – und der grüne ist der menschliche Faktor. Dieser ist aber gezinkt, er zählt immer mit der gleichen Punktezahl. «Der Einfluss des Menschen auf das Klima ist längst nicht mehr zufällig», so Meuli – seit hundert Jahren nimmt er ständig zu.


Die Würfel sind gefallen – oder wie steht es um unser Klima? (Bilder: Adrian von Känel)

Und so gehts: Die gewürfelten Resultate werden per Funk auf Computer übertragen, die aus den Daten live eine Temperaturkurve auf der grossen Leinwand generieren. Ein komplexe Angelegenheit, welche die Berner Fachhochschule Technik und Informatik aus Biel für die Klimaforschenden gelöst hat. Das Spielglück hält sich in Grenzen: Zweimal nacheinander liegt ein Vulkanausbruch auf dem Tisch und schon fällt die Temperaturkurve runter. Nein, wir wollen keine Eiszeit in dieser Nacht, deshalb ab an die Alumni Bar gleich nebenan im Exwi-Foyer: Leckere Häppchen muntern auf und begleiten das Networken der Ehemaligen, wunderbar.

 


Die Universität in anderem Licht sehen: Rund 7000 Besucherinnen und Besucher kamen an die Nacht der Forschung.

Bitte nicht zuviel Mundflora

Nach den Häppchen ein Mundgeruch-Test gleich um die Ecke? Überall lauern Mutproben heute an der Uni (und Verlockungen für alle Wissens- und Sonst-Durstigen). «Essen und Getränke haben kaum Einfluss auf unsere Geruchsmessungen», erklärt Rainer Seemann von den Zahnmedizinischen Kliniken (ZMK). Über ein Röhrchen wird nun die Luft aus dem Mund gesaugt. Hoppla, der Wert auf der Anzeige steigt, stopp! Ein Messgerät analysiert die flüchtigen Schwefelverbindungen, welche das Übel im Mund verursachen. «Zu 90 Prozent liegen die Ursachen für schlechten Atem in der Mundhöhle», so Seemann, «etwa wegen Zungenbelägen oder Entzündungen». Beratungen an der ZMK und Zahnhygiene helfen bei Bedarf weiter, so der Zahnexperte. Auf dem Messgerät geht die Zahl beruhigenderweise wieder runter. Kann zuviel Wissen nicht auch schaden? Schluss mit der vertieften Analyse in die Mundflora, der lieben Biodiversität zum Trotz.


Beschauliche Lagerfeuerstimmung – die Uni Bern schafft auch Besonderes.

Das Karaoke der wissenschaftlichen Art

Sieben «Hallo-wie-geht’s?» weiter im Zelt auf der Einsteinterrasse: Ist das nicht alt Vizerektor Felix Frey hinter der Bar? Der Plan mit der Übersicht über die 80 Aktionen der Forschenden der Uni verrät es: Hier tischen für einmal die Professorinnen und Professoren auf, zapfen Bier und putzen den Tresen. Professoral bestens bedient kann nun auf der Bühne das Power-Point-Karaoke beginnen: Wer sich da mit Improvisationen zu intelligenten, aber unbekannten Power-Point-Präsentationen aus der Berner Forschung wohl tummelt – zwischen Selbstdarstellung und Unterhaltung?

5 Minuten lang, 30 Sekunden pro Folie, um möglichst clever zu vertuschen, dass man von diesem Thema nicht die leiseste Ahnung hat. Uni-Generalsekretär Christoph Pappa – der Jurist, der sich mit der kulturellen Vielfalt im Rahmen der UNESCO-Konvention herumschlägt. Oder Kommunikationschef Marcus Moser, der sich mit Tötungsdelikten befasst – mit Folien voller juristischer Artikel und Paragraphen, die den Philosophen in ihm herauskitzeln. Was genau nun aber «eventualvorsätzlich» bei Delikten bedeutet, bleibt er dem amüsierten Publikum schuldig.


Volles Haus: Karaoke mit Power-Point-Präsentationen war sehr amüsant…


… und einige Experimente der Wissenschaftler sehr farbenprächtig.

Von der Liturgie ins All

Ein Tapetenwechsel von Karaoke zur Liturgik. Bern ist eine Volluniversität! «Bach oder Grönemeyer?» steht auf dem Poster am Stand im Hauptgebäude. Beides, aber auch in der Kirche? Das Kompetenzzentrum Liturgik der Theologischen Fakultät nutzt die «Nacht der Forschung» gleich zur Forschung mit den Besucherinnen und Besuchern, wie Johannes Stückelberger erklärt: Aus Fragebögen wird an der Wand ein Ritualbarometer erstellt, die Balken mit roten Punkten wachsen bereits, und bis Mitternacht ist klarer, ob das Publikum eine Hochzeitsfeier unter freiem Himmel der Orgelmusik und Familienbibel vorzieht. Nächste Frage: Bestattung auf dem Dorffriedhof oder im Friedwald? Letzterer.

Eine Türe weiter wartet dann der Himmel. Das Astronomische Institut stellt vor, wie es den Weltraumschrott, der um die Erde kreist, beobachtet. Teleskope in Zimmerwald und auf Teneriffa liefern Daten über die Bahnen von rund 18'000 bekannten Schrottteilen von Satelliten und Raketenstarts. Es ist ständig Rush Hour im Weltall. Astronom Andreas Hinze hat auch die Antwort auf die meistgestellte Frage des Abends: Nein, der NASA-Satellit ist noch nicht abgestürzt (er tat es erst am Samstagmorgen).


Etwas Besinnung neben dem Rummel brachten die Gesänge des Unichors im Treppenhaus des Hauptgebäudes.

Ein Herzentscheid und ein letzter Test

Und nun – wem lauschen? Dem Unichor, der im Treppenhaus eine beinahe sakrale Stimmung hinzaubert? Oder der Bankrechtsexpertin Susan Emmenegger und dem Herzchirurgen Thierry Carrell, die in den «Science Talks» zu Gast sind? Wohin zieht es das Herz? Ganz einfach: Von beidem ein Häppchen, dann runter an die «European Bar»: Die Eingangshalle ist voll, offenbar ist hier «The place to be», die Jungforschenden aus aller Welt scheinen unterwegs zu sein. Stimmt, die «Nacht der Forschung» ist ja ein Projekt des Forschungsministeriums der Europäischen Kommission, und deshalb plaudert auch der EU-Botschafter in der Schweiz, Michael Reiterer, in der Lounge.


«European Bar» – der Treffpunkt des Abends.


Kleine machen grosse Schätze: Archäologische Grabungen im übergrossen Sandkasten.

Nach einem Streifzug durch das Gehirn, zu DNA-Extraktionen aus Tomaten und archäologischen Schätzen, welche eifrig von Mädchen und Jungen aus einem Kindertraum grossen Sandkasten gegraben werden, kommt der letzte Test. «Was ist mein Geschlecht?»: Bestimmt nicht unnötiges Wissen. Gesichter erscheinen auf dem Bildschirm. Frau oder Mann? Homosexuell, heterosexuell? Das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Uni Bern macht auf die nach wie vor gängigen Stereotypisierungen aufmerksam. Eine Frau kann nämlich auch ein Mann sein, oder beides – etwa als intersexuelle Person. Und natürlich umgekehrt. Im Test wird doch tatsächlich das männliche Model Andrej Pejic  auf einem Bild als homosexueller Mann und auf einem anderen als heterosexuelle Frau erkannt. Zeit, heimzugehen. Die Forschung geht weiter.