Wie das Gehirn lernt

Das Gehirn passt sich ständig an neue Reize an: Für das erfolgreiche Lernen des Menschen knüpfen die Neuronen untereinander immer wieder neue Verbindungen. Sie tun dies nach einer einfachen Regel, wie der Berner Neurophysiologe Jean-Pascal Pfister herausfand.

Von Bettina Jakob 10. November 2011

Milliarden von Nervenzellen, die über schwindelerregende 10 hoch 15 Verbindungen miteinander verknüpft sind: So präsentiert sich die «wohl komplexeste Struktur des Universums», wie Neurophysiologe Jean-Pascal Pfister von der Universität Bern sagt – das menschliche Gehirn. Die Hunderte von Kilometer langen «Kabel» sind nicht etwa fixiert; die Neuronen verbinden sich je nach Reizen aus der Umgebung ständig wieder neu – und machen das Gehirn plastisch und damit den Menschen lernfähig. Doch wie verstärkt oder schwächt ein Neuron seine Verbindung mit einem anderen Neuron? «Auf eine überraschend einfache Art», so der Neurophysiologe, der sich vor allem mit der Theorie der neuronalen Mechanismen befasst. In seiner aktuellen Studie, die soeben in den «Proceedings of the National Academy of Sciences» (PNAS) erschienen ist, zeigt er, wie sein neuestes Modell viele Experimentaldaten erklären kann und eine alte Regel beweist.


Immer auf Empfang und im Wandel: Neuronen in der Interaktion. (Bild: istock)

10'000 Impulse pro Sekunde pro Neuron

Wird ein Neuron aktiviert, entsteht ein sogenanntes Aktionspotential und das Neuron gibt einen elektrisch-chemischen Impuls über die Nervenzell-Enden – die Synapsen – an seine Nachbarzellen weiter, und zwar nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip: Bei den unzähligen Verbindungen untereinander kann ein Neuron problemlos 10’000 Impulse pro Sekunde von anderen Neuronen erhalten, aber erst wenn eine bestimmte Reizschwelle erreicht ist, gibt das Neuron selbst einen Impuls weiter.

Was sich zwischen zwei Zellen abspielt

Und so passt sich das Gehirn an die sich immer ändernden Reize an: Gibt ein Sender-Neuron ein Aktionspotential ab bevor das Empfänger-Neuron ein solches abgibt, wird die Verbindung zwischen diesen beiden Neuronen gestärkt. Ist aber zuerst die Empfängerzelle aktiv und erst danach die Senderzelle, wird die Verbindung geschwächt. Auch die Frequenz, mit der die Zellen aktiviert werden, spielt eine Rolle. In den letzten 15 Jahren haben sich diese sogenannten Lern-Regeln der Neuronen erhärtet.

Und jetzt kann Jean-Pascal Pfister sie verfeinern: «Nicht das Paar von Aktionspotentialen zwischen einer vor- und nachgelagerten Nervenzelle entscheidet darüber, wie sich ihre Verbindung entwickelt, sondern ein Triplett von Aktionspotentialen zwischen den beiden Zellen», so Pfister. Es sind also drei Aktionspotentiale, die je nach Abfolge darüber entscheiden, ob sich die Verbindung zwischen zwei Neuronen verstärkt oder schwächt.

Eine alte Regel wird bestätigt

Die Resultate bestätigen das bekannte, fast 30-jährige Modell von Bienenstock, Cooper und Munroe (BCM), nach welchem sich die Veränderung der synaptischen Stärke der durchschnittlichen Aktivität des Empfängerneurons anpasst: Falls diese bereits hoch ist, wird die Verbindung eher geschwächt, sonst eher verstärkt. «Im BCM-Modell wurde nicht auf die Reihenfolge von Aktionspotentialen eingegangen. Wir haben nun gezeigt, dass die BCM-Regel auch gültig ist, wenn die Reihenfolge beachtet wird», freut sich der Berner Neurowissenschaftler. Zudem zeigt sich nun, dass die Lernregel auch Informationen über zeitliche Aktivierungsmuster zu extrahieren erlaubt.

Und was bedeutet Pfisters Modell für den Alltag? «Es soll zum Verständnis von Wahrnehmung und deren Veränderung beitragen, etwa dazu, wie sich meine Wahrnehmung von Farben, Gerüchen oder Melodien verfeinert, wenn ich diesen ausgesetzt bin», so Pfister.

Quelle: A triplet spike-timing–dependent plasticity (STDP) model generalizes the Bienenstock–Cooper–Munro (BCM) rule to higher-order spatiotemporal correlations. PNAS. doi/10.1073/pnas.1105933108