Soziale Unruhen in Afrika: Druckmittel gegen den Staat

Wirtschaftlicher Niedergang führt in armen und autoritär regierten Ländern zu heftigen sozialen Unruhen. Drei Berner Wirtschaftswissenschaftler belegen ihre Theorie anhand von ökonomischen und klimatischen Daten aus Afrika.

Von Matthias Meier 21. Dezember 2011

Sie wollen herausfinden, wie sich wirtschaftliche Krisen in autokratisch, das heisst in wenig demokratisch regierten Staaten auf den sozialen Frieden auswirken: Die drei Volkswirte Christian Almer, Jérémy Laurent-Lucchetti und Manuel Oechslin vom Departement für Volkswirtschaftslehre, dem World Trade Institute und dem Oeschger Zentrum der Uni Bern untersuchen den Zusammenhang zwischen negativen wirtschaftlichen Schocks und sozialen Unruhen in Entwicklungsländern.

«Ein negativer ökonomischer Schock ist eine plötzliche Verminderung der Wirtschaftsleistung eines Landes», umreisst Christian Almer das Forschungsfeld. «Dies ist etwa der Fall, wenn das reale Pro-Kopf-Einkommen in einem Jahr um mehrere Prozentpunkte sinkt.» Die Wirtschaftsleistungen der analysierten Entwicklungsländer sind laut den Forschern grossen Schwankungen unterworfen: Ein Rückgang des Bruttoinlandprodukts um über fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist in afrikanischen Ländern keine Seltenheit. Für entwickelte Länder würde dies jedoch laut Manuel Oechslin einem sehr grossen negativen ökonomischen Schock entsprechen.

Raffinerien
Biotreibstoff aus Mais: In grossen Raffinerien wird aus Pflanzen Ethanol gewonnen. Bild: iStock

Autofahren mit Grundnahrungsmitteln

So weit so gut – doch Häberli zeigt Probleme auf, die in dieser Entwicklung entstehen können: Brasilien verfolgt diesen Ansatz seit Jahrzehnten und hat dazu sogar die passenden Hybridautos entwickelt, die beliebig Benzin und Ethanol aus Zuckerrohr verwenden können. «Umweltschützer kritisieren zu Recht die Entwaldung, die entstehenden Monokulturen und die generell negative Öko-Bilanz der Biotreibstoffproduktion.» Und: «Auch die USA und die EU sind auf den gleichen Zug gesprungen und haben mit massiven Subventionen ihren Mais, Raps und Rübenzucker ‹verestert›, das heisst, ebenfalls in Treibstoff aus Ethanol verwandelt», führt Häberli aus. Gleichzeitig verteuerten sie den Import von Ethanol um ihre Inlandproduktion zu schützen.

«Ein Karrussell wurde angestossen, das sich seither immer schneller dreht», erklärt der Berner Forscher: In den USA werden mittlerweile 40 Prozent der Maisproduktion zu Sprit. Das wiederum verteuert das Maismehl für die Tortillas in Mexiko und das Viehfutter im eigenen Land. «Ärmere Entwicklungsländer können bei diesen Bedingungen nicht mithalten: Sie haben zuwenig Agrarland und Landrechtsschutz, keine Subventionsmöglichkeit – und Hunger», fasst Christian Häberli zusammen. Zusätzlich verschärft die Enteignung und Vertreibung von Kleinbauern die Ernährungslage. Das Resultat: Soziale Probleme sowohl auf dem Land als auch in den Städten.

Bauer
Kleinbauern haben mit ihren kleinen Feldern einen schweren Stand. Bild: fotolia

Die Quadratur des Zirkels

Am World Trade Institute der Universität Bern sucht Christian Häberli nach den Bedingungen unter welchen auch ärmere Entwicklungsländer mit genügend Land und Wasser von dieser neuen Verdienstmöglichkeit profitieren könnten. «Es wäre grundsätzlich möglich», so der Forscher: Erste Resultate zeigen, dass dies mit international festgelegten Produktionsstandards, mit einem globalen Subventionsverzicht und mit umwelt- und sozialverträglich zertifizierten und öffentlich einsehbaren Abnahmeverträgen möglich wäre. «Diese Hürden sind allerdings sehr hoch – aber vielleicht können eines Tages auch Schweizer Autofahrerinnen und Autofahrer einen Beitrag an die Ernährungssicherheit in Afrika leisten», hofft Häberli.

Hunger – Genug ist nicht genug

Zusammen mit der SUB organisieren das World Trade Institute und das Centre for Development and Environment der Universität Bern am 9. Mai um 18.20 Uhr eine öffentliche Filmvorführung mit anschliessender Podiumsdiskussion. Im Kino des Kunstmuseums zeigt der Film «Hunger – Genug ist nicht genug» Zusammenhänge und Lösungen des globalen Hungerproblems auf.