72 Nationen unter einem Dach

Schonend fürs Portemonnaie und bereichernd fürs Sozialleben: Studentenwohnhäuser und preiswerte Wohngemeinschaften sind beliebt bei in- und ausländischen Studierenden.

Von Salomé Zimmermann 22. August 2011

Studieren lässt es sich leichter, wenn das Budget nicht zu arg strapaziert wird und nach den Vorlesungen ein gemeinsames Abendessen, ein Gute-Nacht-Tee oder ein Entspannungs-Bier in Aussicht stehen. Diesen Bedürfnissen kommen Studentenwohnhäuser und Wohngemeinschaften entgegen. Der «Verein Berner Studentenlogierhaus» (VBSL) kümmert sich bereits seit 1962 um erschwinglichen Wohnraum für Studierende in der Aarestadt. Die nicht gewinnorientierte Organisation stellt für insgesamt 620 Personen möblierte Zimmer in drei Studentenwohnhäusern im Fellergut, im Tscharnergut und am Kanonenweg zur Verfügung. Zusätzlich vermietet sie preisgünstige Wohnungen.


Das Studentenwohnheim Fellergut liegt neben dem Bahnhof Bümpliz Nord. (Bilder: sz)

International, billig und unkompliziert

«Ich musste in die Stadt pendeln und habe dadurch viel Zeit verloren», erzählt die Berner Psychologie- und Wirtschaftsstudentin Rea Minder (24). Nach einer Internetrecherche ist sie deswegen vor ein paar Jahren ins Studentenlogierhaus im Tscharnergut umgezogen. Da dieses in den letzten Monaten renoviert wurde, hat sie in das grössere Wohnhaus mit 230 Zimmern im Fellergut gewechselt und auch dort «habe ich schnell Anschluss gefunden», so Rea Minder. Das siebenstöckige Hochhaus bietet Platz für Studierende der Universität Bern und einige Doktoranden, Stipendiatinnen und Praktikanten. Es ist in wenigen Schritten vom Bahnhof Bümpliz Nord aus erreichbar. «Ich mag an den Studihäusern vor allem die Internationalität und dass ich nicht allein bin, mich aber jederzeit auch zurückziehen kann», erläutert Rea Minder.

Oliver Lücke (34), Hauschef im Fellergut, ehemaliger Jus-Student und aktueller Anwaltspraktikant, sieht das ähnlich: «Mir gefällt es, viele verschiedene Menschen kennenzulernen, und ich schätze die komplette Infrastruktur». Zuerst hat der Deutsche bei seiner Freundin gewohnt und musste dann nach dem Auseinanderbrechen der Beziehung vor ein paar Jahren möglichst schnell eine neue Bleibe finden. «Alles ging unkompliziert und rasch, ich habe ein Antragsmail geschickt und konnte innert weniger Tage einziehen», erinnert er sich. Oliver Lücke ist einer der ältesten Bewohner und hat schon viele kommen und gehen sehen: «Durchschnittlich leben die Studierenden zwei Semester bei uns». Denn gerade bei Erasmus- und anderen ausländischen Studierenden sind die Studentenlogierhäuser besonders beliebt.


Oliver Lücke kennt als Hauschef die Sorgen und Nöte seiner Mitbewohner.

«Wir beherbergen in den Wohnhäusern Personen aus 72 Ländern», so die stolze Bilanz der Verwalterin Verena Nievergelt. Insgesamt machen die ausländischen Studentinnen und Studenten laut Nievergelt rund 70 Prozent der Bewohner in den drei Wohnhäusern des VBSL aus. Bei so vielen jungen Menschen und Multikulturalität steigt auch die Festfreude. Oliver Lücke relativiert jedoch: «Zumindest im Fellergut sind die Partys in den letzten Jahren zurückgegangen», es sei etwas ruhiger geworden. «Vielleicht hängt das mit dem Internet und den elektronischen sozialen Netzwerken zusammen», mutmasst er.

Konfliktherde Sauberkeit und Lärm

Verena Nievergelt stellt fest, dass das Wohnhaus am Kanonenweg – gleich neben der UniS – wegen seiner zentralen Lage, dem schönen Haus mit Garten sowie der familiären Grösse von 60 Personen besonders beliebt ist. Bezüglich Komfort werde es aber von den Häusern im Feller- und Tscharnergut übertroffen. Im Fellergut-Logierhaus befinden sich auf jedem Stockwerk neben einer Wohnküche einerseits die von den Studierenden so bezeichneten etwas teureren «Gold-Zimmer» à 530 Franken – mit je einer Toilette und Dusche für zwei Personen. Andererseits gibt es die «Sand-Zimmer», die fünfzig Franken billiger sind, weil sich 18 Männer und Frauen zwei Toiletten und zwei Duschen teilen. «Erstaunlicherweise gibt es aber morgens selten Stau. Wir haben unterschiedliche Rhythmen und kommen gut aneinander vorbei», sagt Oliver Lücke.

Selbstverständlich entstehen beim engen Zusammenleben vieler Personen unterschiedlichster Nationalitäten auch Konflikte. Diese neuralgischen Punkte kennt Oliver Lücke als ehrenamtlicher Hauschef besonders gut: «Die meisten Auseinandersetzungen drehen sich um die Sauberkeit in Küche und Bad sowie um den Lärmpegel und die beschränkte Privatsphäre», erläutert er. «Ich habe schon einige spezielle Vögel hier erlebt», schmunzelt er und trotz einiger Verdriesslichkeiten, die er nach ein paar Jahren Wohnhaus und mit zunehmendem Alter deutlicher wahrnimmt, fühlt er sich nach wie vor wohl und möchte die bereichernde Erfahrung im Studentenwohnhaus nicht missen.