Tiere und Menschen zu biblischen Zeiten

Im alten Israel der Bibel war die Beziehung zwischen Mensch und Tier sehr eng. Tiere lösten aber auch Furcht und Faszination bei den Menschen aus. In ihrem Buch untersucht Bibelwissenschaftlerin Silvia Schroer dieses komplexe Verhältnis.

Von Maximiliano Wepfer 12. Januar 2011

In Krippenspielen kommen sie zwar vor, ansonsten scheinen Tiere in der Bibel nur eine Nebenrolle einzunehmen. Silvia Schroer, Dekanin der Theologischen Fakultät und Professorin am Institut für Bibelwissenschaft, widerspricht diesem Bild entschieden: «Die Bibel ist voll von Tieren, man begegnet ihnen überall.»

In ihrem Buch «Die Tiere in der Bibel» rückt sie die vermeintlichen Nebendarsteller ins Rampenlicht, um die landwirtschaftlich geprägte Lebenswelt des Alten Orients sichtbar zu machen. «Als typische Pioniergesellschaft kämpften die Israeliten einerseits gegen wilde Tiere, um der Zivilisation Platz zu verschaffen», erklärt Schroer. «Andererseits lebten sie mit den kleineren Nutztieren in den Häusern praktisch zusammen.» Diese Nähe drückte sich zum Beispiel in der Namensgebung aus: Kein Tier, das nicht zum Personennamen geworden wäre – so ist Rachel etwa die «Kuh». Und da die Wirtschaft in jener Zeit auf der Zugkraft und den Sekundärprodukten des Rindes und auf der Rolle des Esels als anspruchsloses Trag- und Reittier gründete, stand den beiden Tieren vom Gesetz her am Sabbat wie den Menschen ein Ruhetag zu.

Wandmalerei eines Esels
Der Esel wurde bereits im 3. Jahrhundert vor Christus domestiziert und hatte einen Sonderstatus unter den Haustieren inne. Bild: zvg

Tiere als göttliche Vermittler

Die menschliche Beziehung zu wilden Tieren hingegen war ambivalent, so zum Beispiel zum Geier. «Die Israeliten bewunderten ihn für die Fähigkeit, in der er den Menschen übertraf: innert kürzester Zeit tote Tiere aufzuspüren», führt Schroer aus. «Gleichwohl fürchteten sie sich vor dem unreinen Aasfresser, weshalb sie ihm respektvoll begegneten.» Dieser Respekt rührte auch von der Überzeugung her, in allen Tieren die Weisheit der Schöpfung erkennen zu können. «Tiere hatten den direkteren Draht nach oben», bringt es Schroer auf den Punkt. Wer die Tüchtigkeit der Ameisen beobachtete, konnte somit von Gott lernen. Einzig der Hund hatte einen zweifelhaften Ruf – sein Name wurde als Schimpfwort gebraucht. Die Israeliten verachteten sein unterwürfiges Verhalten und fürchteten sich vor herumstreunenden Hunderudeln, die ihre Siedlungen gefährdeten.

Im Grunde genommen gab es aber keine «gottnahen» oder «gottfernen» Tiere. Das trifft selbst für die Schlange zu, die in der Schöpfungsgeschichte als Gegenspielerin von Gott auftritt. «Sie wurde erst später mit dem Teufel identifiziert, nie in der Bibel», betont Schroer. Als Erbe des Polytheismus repräsentierten Tiere also das Göttliche – die frühen Israeliten verehrten Gott ja noch als Stiergestalt. Im Verlauf der Zeit nahm aber die Zahl der tierischen Gottessymbole ab, so dass heutzutage nur noch deren drei übriggeblieben sind: das Lamm Gottes, die Taube des Heiligen Geistes und die Adlerflügel Gottes.

Schematische Zeichnung eines Geiers
Die aasfressenden Geier wurden aufgrund ihrer Rolle als «Gesundheitspolizisten» von den Israeliten bewundert.

Von Verwandten zu Fremden

Die göttliche Schöpfung der Menschen und Landtiere am sechsten Tag stellte ausserdem eine Verwandtschaft zwischen den beiden her. Sie widerspiegelte sich beispielsweise im gesetzlichen Status der Landtiere als «Mittelding» zwischen Lebewesen mit eigener Würde und einer Sache. So war ein Mann verpflichtet, dem verunglückten Esel seines Nachbarn zu helfen, selbst wenn er mit dem Mann im Streit lag. Erst die griechisch-römische Denktradition spaltete dieses enge Verhältnis auf: Mensch sein hiess neu, kein Tier zu sein. Tiere galten vor dem Gesetz nun als Sache. «Durch die drastische Trennung ging auch ein Teil des Respekts gegenüber Tieren verloren», bedauert Schroer, die sich privat im Tierschutz engagiert.

Mit dieser Verschiebung der Werte änderten sich auch die Lebensumstände der Menschen. Wildtiere stellten nun keine Gefahr mehr dar, und der Wert von Haustieren beschränkte sich auf den rein ökonomischen Faktor. Im Neuen Testament sind Tiere bereits viel weniger als im Alten vertreten. «Doch die Gläubigen störten sich an diesen Lücken und füllten sie wie in anderen Fällen in der Bibel mit Volkstraditionen», weiss Schroer. «Einzelne Heilige wie Antonius wurden mit Tieren abgebildet oder in Krippendarstellungen mussten Ochse und Esel dabei sein.»

«Die Tiere in der Bibel»

wem. Das kulturgeschichtliche Buch «Die Tiere in der Bibel» von Silvia Schroer ist im Herder-Verlag erschienen. Es ist an ein breites Publikum gerichtet und stellt in 30 Kapiteln die wichtigsten Tiere vor, die in der Lebenswelt des alten Israels und in den biblischen Texten vorkommen.

Silvia Schroer, Die Tiere in der Bibel, Eine kulturgeschichtliche Reise, Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br. 2010, ISBN: 978-3-451-32284-6.

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