Umstrittene Heilige im Schulzimmer

Die Lehr- und Lernmethoden der italienischen Pädagogin Maria Montessori sind umstritten. Woran das liegt und inwiefern ihr Bildungskonzept Ähnlichkeit mit religiösen Elementen hat, erklärte Malte Brinkmann in einem Symposium des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität Bern.

Von Maximiliano Wepfer 30. Mai 2011

Von Befürwortern verteidigt, von Gegnerinnen angegriffen: die Italienerin Maria Montessori. Die Ärztin und Pädagogin entwickelte ihr Bildungskonzept während ihrer Tätigkeit mit Kindern aus den Armenvierteln Roms zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die Kontroversen rund um die nach ihr benannte Pädagogik, die häufig als Inbegriff von Kreativität und Fortschritt dargestellt wird, führte Malte Brinkmann von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg in seinem Vortrag fürs Symposium des Instituts für Erziehungswissenschaft (IEW) aus. Das Thema des Anlasses war die Inszenierungsgeschichte pädagogischer Erlöserfiguren wie Pestalozzi oder eben Montessori, die von ihren Anhängerinnen und Anhängern wie ein Messias verehrt wurde und heute noch wird.

Pädagogin Maria Montessori
Die italienische Pädagogin Maria Montessori richtete ihr Bildungskonzept nach dem Kind und seiner Individualität aus. Bilder: zvg

Selber an ihrem Heiligenstatus gearbeitet

In der Montessori-Methode steht das Kind im Mittelpunkt: Dieses soll seinen individuellen Bedürfnissen und Begabungen entsprechend in seinem eigenen Rhythmus und in seiner eigenen Art lernen. Nach dem Motto «Hilf mir, es selbst zu tun» hat die Lehrperson die Aufgabe, mittels didaktischer Techniken wie offener Unterricht und Freiarbeit das Kind zum Lernen hinzuführen und ihn als Beobachter im Lernprozess zu begleiten. Dank dieser Philosophie gewann Montessori viele Bewunderinnen und Bewunderer, was einer von vielen Gründen für den Erfolg der Bewegung sei, meinte Brinkmann. «Montessori trug selber mit Anekdoten und Legenden über ihre Lebensgeschichte zusätzlich zu einer Verklärung ihrer Person bei», befand er.

Die straffe Organisation der Montessori-Bewegung sei verantwortlich für die rasche Verbreitung des Bildungskonzepts gewesen. Schon früh habe ein weltweit umspannendes Netz von Montessori-Schulen bestanden. Brinkmann erläuterte ein weiteres Problem, dass religiöse Elementen in die Montessori-Pädagogik eingeflossen seien. Bei der so genannten «Polarisation der Aufmerksamkeit» zum Beispiel, wendet sich ein Kind mit totaler Konzentration einem selbst gewählten Gegenstand zu, bis es die Aufgabe gelöst hat. «Dieses Phänomen stellte Montessori als ein wundersames und mystisches Erweckungserlebnis dar», erklärte er.

Durch praktische Übungen zu Disziplin

Brinkmann erkennt im Montessori-Konzept eine Art von pastoraler Führung, die sich auf das säkulare Feld der Bildung ausgebreitet habe. «Die Verbindung der Fürsorge des Erziehers mit der Kontrolle über das Lernmaterial greift stark in die pädagogische Praxis ein», kritisierte er. So würden die Montessorianer ein naiv-romantisches Bild des Kindes als Heilsbringer zeichnen, während die Lehrperson bloss Dienerin und Helferin sei. Was nicht ganz stimmt: Die Lehrerin steuert nämlich die Übungen, welche den praktischen Kern der Montessori-Pädagogik ausmachen und einige Besonderheiten aufweisen: Das Lernmaterial ist im Schulraum etwa so angeordnet, dass es den Kind zum Gebrauch motivieren soll. Ziel dieser Praxis ist die «Gesundheit der Psyche», mit der eine so genannte Normalisierung angestrebt wird: Über manuelle Tätigkeiten wie Tischputzen sollen Kinder Tugenden wie Gehorsam, Disziplin und Willensstärke erlernen.

Kind am Spielen
Ein Kind übt in einer Montessori-Schule seine manuellen Fertigkeiten. Bild: zvg

Diese Methoden hätten sich in der pädagogischen Praxis als wirksam erwiesen, die Montessori-Schulen seien im Vergleich nicht schlechter als gewöhnliche Schulen. Ein grosses Fragezeichen stellte Brinkmann jedoch hinter den Nutzen gewisser, eigentlich inhaltsleerer Übungen. Dass beste Qualität oberstes Ziel etwa beim Tanzen oder Schreiben sei, sei unbestreitbar; ob es diese aber auch beim Tischputzen brauche, sei dahingestellt. «Zudem nimmt diese einfache Tätigkeit, welche die Lehrkräfte bis ins kleinste, von Montessori geforderte Detail lernen müssen, den Charakter eines Gottesdienstes an», sagte Brinkmann. Dies unterstreiche seine These, dass die Montessori-Pädagogik eine Art von pastoraler Machtform sei. Als problematisch empfindet der Erziehungswissenschaftler das ausgeprägte Sendungsbewusstsein der «Montessorianer». «Dass dieses Widerspruch provoziert, kann ich absolut verstehen», hielt Brinkmann abschliessend fest.

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