Und auf einen Schlag ist alles anders

Eine verstopfte Arterie oder eine Blutung im Gehirn: Ein Hirnschlag hat grosse Konsequenzen für die Betroffenen. Neben Physiotherapie und Gedächtnistraining darf auch die Seele nicht vergessen gehen: Eine Studie der Uni Bern zeigt, dass eine psychotherapeutische Begleitung den Patienten hilft, Mut zu fassen.

Von Bettina Jakob 14. März 2011

Die Trauer legt sich wie ein dunkler Schleier über sie. Erst ein Jahr danach. Gerade als sich alle freuen, dass sie wieder gehen kann, als auch das Rechnen endlich besser läuft und das Sprechen fliessender geht. Sie hat unglaubliche Fortschritte gemacht in der Rehabilitation, im täglichen Aufmerksamkeits-Training, mit den logopädischen Übungen, in der anstrengenden Physiotherapie. Doch die 32-Jährige fühlt sich «wie meine 72-jährige Tante», wie sie betroffen zu Protokoll gibt. Hirnschlag-Patientinnen und -Patienten müssen für den Rest ihres Lebens meist mit enormen Einschränkungen zurecht kommen. «Nur ein Fünftel der Betroffenen kann später seine ursprüngliche Arbeit wieder aufnehmen», sagt Helene Hofer von der Universitätsklinik für Neurologie.

Röntgenaufnahmen eines Gehirns
Zeigen Ort und Ausmass eines Hirnschlags: Röntgenaufnahmen eines Gehirns. Bild: istock

Zu schaffen machen aber nicht nur die körperlichen Beschwerden sondern auch Müdigkeit, sprachliche oder kognitive Einschränkungen, wie Hofer aus Erfahrung weiss. Der Verlust des alten Lebens nagt an der Seele. Und diesen Verlust spüren die Betroffenen meistens erst richtig, wenn es von der Rehabilitationsklinik wieder zurück nach Hause in den Alltag geht. In einer Erststudie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Psychologie der Uni Bern hat Neuropsychologin Hofer einen integrativen Therapieansatz untersucht, der neben der gängigen neuropsychologischen Rehabilitation grosses Gewicht auf eine psychotherapeutische Begleitung legt. Die Resultate zeigen: Das psychische Wohlbefinden der Patienten wird mit dem neuen Therapiemodell wesentlich gestützt.

Es kann alle treffen

Plötzlich verspürte sie einen unglaublichen Schmerz im Kopf, alles wurde schwarz. Die 32-jährige Mutter dachte erst an ein Kreislaufproblem, war beunruhigt… und schon erinnert sie sich an nichts mehr. Die junge Frau erlitt eine Hirnblutung wie jährlich rund 14’000 Personen in der Schweiz. «Oft passiert es aus heiterem Himmel», sagt Neuropsychologin Hofer. Und es geschieht zwar quer durch alle Altersstufen, selbst im Gehirn eines Kindes kann ein Blutgefäss platzen. Das Risiko nimmt mit dem Alter stetig zu – insbesondere wenn Risikofaktoren wie erhöhter Blutdruck, Rauchen und Übergewicht hinzukommen. Die Chancen auf einen guten Verlauf stehen und fallen mit der Reaktionszeit, wie Helene Hofer erklärt: «Bei plötzlichen Sehstörungen, Sensitivitätsstörungen oder Lähmung sofort zum Notarzt.»

Die schwierige Rückkehr in den Alltag

Eine Arterie der linken Gehirnhälfte der jungen Frau hatte sich verschlossen. Ein ischämischer Hirnschlag ohne Nachblutung, betroffen war unter anderem das Sprachzentrum. Noch heute, zwei Jahre später, wollen die Worte nicht so schnell einfallen wie früher. Immer mittags muss sie sich hinlegen, so müde ist sie, Freundinnen treffen will geplant sein, zuviel Aktivität an einem Tag verkraftet sie nicht. Irgendwann kam die Frage, ob sie die Erziehung eines zweiten Kindes, das sie sich so wünscht, schaffen würde. Wohl nicht. Die Tränen über das verlorene alte Ich wollten nicht mehr aufhören. «Es stürzen ganz viele Themen auf die Betroffenen ein», sagt Helene Hofer – Fragen zum Selbstwert, zum Sinn des Lebens, zum Kinderkriegen, zur Arbeit, zu Wunschträumen. Gemäss Hofer ein ganz normaler Prozess im Laufe der Krankheitsverarbeitung.

Dieser erhält nun im integrativen Therapiemodell neben all den kompensatorischen Übungen, um mit der Eingeschränktheit umgehen zu lernen, mehr Platz. «Die Menschen lernen in unseren Sitzungen, was sie aus ihrem veränderten Leben machen können, wie sie trotz allem glücklich werden können.» Das geht von der Trauer über den Vorfall, versunkene Träume, über die Akzeptanz bis zum Zeichnen neuer Zukunftsperspektiven. Nach einem Jahr mit regelmässigen psychotherapeutischen Terminen fasste eine Studien-Teilnehmerin zusammen: «Es hat sich gelohnt. Ich führe heute wieder ein glückliches Leben.»

Gross angelegte Studie läuft

Hofers Erststudie ist die Grundlage für eine weiterführende grossangelegte Untersuchung, in der noch Plätze frei sind. Sie hat zum Ziel, das integrative Therapie-Modell weiter zu optimieren. Der Studie ist gleichzeitig ein Therapieprogramm für Angehörige von Hirnschlag-Patienten angegliedert. Die Betreuung sowohl von Hirnschlag-Patienten als auch von ihren Verwandten soll den positiven Effekt der Einzeltherapien verstärken, wie die Forschenden vom Inselspital und vom Institut für Psychologie hoffen. Erste Resultate werden in zwei Jahren erwartet.

Der leidenschaftliche Angler geht heute wieder mit seinen Freunden ans Wasser, mit in die Fischerferien in den hohen Norden. Nur angelt er nicht mehr, da nach dem Hirnschlag vor drei Jahren eine Halbseitenlähmung zurückgeblieben ist. Er kann die Mücken an der Fischerrute nicht mehr fliegen lassen, um die Fische zu ködern. Dennoch hat er wieder Freude an den Anglerferien, wie er Helene Hofer erzählt hat. Er bereitet abends die gefangenen Fische zu.

Weiterführende Informationen

Der Hirnschlag

bj. Beim Hirnschlag handelt es sich um eine gefässbedingte Erkrankung, welche plötzlich auftritt. Wenn die Blutzufuhr in einem Teil des Gehirns unterbrochen wird, spricht man von einem Hirnschlag. Beim Hirnschlag kennt man zwei verschiedene Arten: Der ischämische Schlaganfall entsteht durch eine Verstopfung einer Arterie. Etwa 80 Prozent aller Schlaganfälle sind auf eine Ischämie zurückzuführen. Der hämorrhagische Schlaganfall entsteht durch eine Hirnblutung. Sei es, dass ein Gefäss platzt, oder aufgrund eines Bluthochdrucks zu einer Blutung kommt. Rund Ein Fünftel aller Schlaganfälle sind auf eine Blutung zurückzuführen. Zerebrovaskuläre Erkrankungen wie ein Hirnschlag, aber auch andere erworbene Schädigungen des Gehirns sind häufig mit vielfältigen Beeinträchtigungen verbunden. So können kognitive Leistungen, Wahrnehmungsfunktionen, sensomotorische und/oder sprachliche Funktionen betroffen sein.

Oben