Woher der Grittibänz seine Pfeife hat
Lebkuchen, Mandarinen und Glühwein: Die Weihnachtszeit pflegt ganz eigene kulinarische Sitten. Wie kommt das? Der Theologe Ernst Axel Knauf, Experte für Geschichte und kulturelle Bedeutung von Nahrungsmitteln, gibt Auskunft.
Gold-gelb gebacken, mit Rosinenaugen und einer weissen Pfeife: Der Grittibänz wird insbesondere am Nikolaustag, dem 6. Dezember, gerne verspeist. Doch über den Ursprung dieser langen Tradition und die kulturelle Bedeutung wissen nur wenige Bescheid, so etwa der Berner Bibelwissenschaftler Ernst Axel Knauf.
Der Theologe an der Uni Bern hat ein breites Wissen über Geschichte und Kultur des Essens. «Der Grittibänz ist ein sogenanntes Bildgebäck, das bereits im Mittelalter vor allem für Kinder zubereitet wurde», erläutert Knauf. «Die Figur bildete den heiligen Nikolaus ab. Anstelle der Hostie, dem Leib Christi, der erst nach der Erstkommunion eingenommen werden darf, bekamen die Kinder immerhin den Leib eines Heiligen zu kosten.» Zum Abbild des Nikolaus gehörte ein Bischofsstab, doch hat der Bänz heute stattdessen meist eine Pfeife im Mund. Wie kommt das? «In der Reformationszeit wurden viele katholische Symbole verweltlicht – so auch der Bischofsstab des Grittibänz. Dessen Platz nahm sodann die Pfeife ein, die einem umgedrehten Bischofstab sehr ähnlich sieht», erklärt Knauf.
In der Tradition heidnischer Gelage
In der Adventszeit begegnen uns Jahr für Jahr die gleichen kulinarischen Sitten und Bräuche, es ist eine Zeit des ausgedehnten Essens und Geniessens. «Dabei wird häufig vergessen, dass die Adventszeit in der christlichen Tradition eigentliche eine Zeit des Fastens ist», stellt Knauf fest. Das Datum des Weihnachtsfests Ende Dezember geht laut dem Wissenschaftler jedoch auf heidnische Feste zur Wintersonnenwende zurück: «Römer und Germanen zelebrierten den Zeitpunkt, an dem die Tage wieder länger werden, mit ausschweifenden Feierlichkeiten. Im Christentum wurde das Fest zur Geburt Jesu mit der heidnischen Tradition zusammengelegt – und die feierlichen Ausschweifungen wurden gleich beibehalten.»
Luxuriöse Ingredienzien aus dem Orient
Auch Lebkuchen erfreut sich bereits seit dem Mittelalter grosser Beleibtheit, nicht zuletzt, da er in der Vergangenheit mit grossem Prestige verbunden war. «Die Gewürze Zimt, Ingwer, Anis und Nelken, die dem Lebkuchen den unverkennbaren Geschmack verleihen, waren damals sehr teuer, denn sie stammten zumeist aus dem Orient», so der historisch bewanderte Theologe. Diese Zutaten wurden in der mittelalterlichen Küche vor allem zum Würzen von Fleisch verwendet. Da Fleisch in der Fastenzeit aber tabu ist, fügte man sie kurzerhand dem Kuchen bei. Nicht jedermann konnte es sich leisten, seine Backwaren mit diesen Ingredienzien zu veredeln. «Wer es aber vermochte, prahlte gerne mit diesem luxuriösen Gebäck.»
Mit heissem Wein, bleibt das Gewissen rein
Trotz des Fastens gönnte man sich in der Adventszeit also schon früher hin und wieder was Feines – auch in flüssiger Form. Was heute auf keinem Weihnachtsmarkt fehlen darf, wurde bereits im antiken Rom geschätzt: der Glühwein. «Dieser süss-scharf gewürzte Wein basiert auf römischen Rezepten. Allerdings ist nicht überliefert, dass dieser schon in der Antike heiss konsumiert worden wäre», erläutert Knauf. Ganz anders im hohen Norden: «Im christlichen Schweden diente das Erhitzen des Weins mitunter als Argument, um das strikte Alkoholverbot in der vorweihnächtlichen Fastenzeit zu umgehen.» Somit handelte es sich im schwedischem Verständnis bei Glühwein nicht um richtigen Wein, sondern um etwas eigenes, das nicht gegen die religiösen Gebote verstiess.
Fondue chinoise ist sozial
Orangen und Mandarinen gehören ebenfalls in die Weihnachtszeit. Der Genuss von Zitrusfrüchten ist jedoch weit weniger traditionell als die beschriebenen mittelalterlichen Essensgewohnheiten: «Die Früchte aus den Tropen sind in Europa erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet», so Ernst Axel Knauf. «Sie kamen durch den Kolonialismus in unsere Weihnachtskultur, ebenso Datteln, Feigen und Erdnüsse.» Ein noch jüngerer Essens-Trend in den Weihnachtstagen breitete sich in der Schweiz erst in den letzten Jahrzehnten aus: Das Fondue chinoise. «Zwar wurde an Weihnachten schon immer ausgiebig Fleisch gegessen», erklärt der Experte. «Die Form als Fondue chinoise wurde jedoch erst mit der Verbreitung der Kühltruhe so populär.» Bei allen Traditionen und Hintergründen darf aber nicht verkannt werden, dass Essen im Allgemeinen und Fondue chinoise im Speziellen vor allem ein gesellschaftlicher Anlass sind. Wenn die Nächte lang und die Tage kurz sind, erfreut sich der Mensch besonders gerne an einem Leckerbissen in guter Gesellschaft – ganz so wie es schon die alten Römer taten.