Der Schatz aus Gips

Ein Stadtrundgang durch das antike Athen – und das mitten in Bern. In der «Antikensammlung Bern» entführen Studierende der Uni Bern Besucherinnen und Besucher in die Welt des archaischen Lächelns.

Von Matthias Meier 11. Januar 2012

Zwischen erstarrten Heroen und Göttern wandeln, vorbei an der zauberhaften Aphrodite, dem strammen Apollon und dem kolossalen Kopfe des Zeus. Tief in den Katakomben des Unigebäudes in der Hallerstrasse 12 liegt ein antiker Schatz verborgen. Über 200 Skulpturen und Figuren aus dem griechischen und römischen Altertum umfasst die hier gebettete «Antikensammlung Bern». Expertinnen der Uni Bern präsentieren noch bis im Juni 2012 in öffentlichen Führungen Geschichte und kulturelles Erbe der Antike. Sie führen die Besucherinnen und Besucher gewandt durch das Labyrinth aus Gipsabgüssen der gemeisselten Originale aus einer vergangenen Zeit. Die Archäologiestudentin Adriana Urango nahm einem mit auf einen Stadtrundgang durch das antike Athen – mitten in Bern.


In der Antikensammlung eröffnen sich den Besucherinnen und Besuchern mythische Welten. (Bild: zvg)

Nackte Männer mit archaischem Lächeln

Der Rundgang beginnt in der archaischen Zeit, rund 700 bis 500 Jahre vor Christus: Adriana Urango erklärt an verschiedenen beispielhaften Exponaten der Sammlung den typischen Stil der Epoche: «Die Statuen der Archaik sind sehr symmetrisch gefertigt und haben charakteristische, mandelförmige Augen.» Markant ist der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Figuren. Während Frauenstatuen, sogenannte Koren, aufwändig frisiert, reich bekleidet und mit Schmuck ausgestattet sind, wurden ihre männlichen Pendants zumeist nackt dargestellt. Ihnen blieb alleine das «für die Epoche typische archaische Lächeln», so Urango.


Mandelförmige Augen und das typische, spitzbübisch anmutende archaische Lächeln: der Kalbsträger (um 560 v. Chr.). (Bild: mei)

Realistisch drapierte Gewänder

Auf die Archaik folgte die Epoche der Klassik (500 bis circa 330 vor Christus), deren Bildsprach freier und dynamischer ist. Exemplarisch zeigt sich dieser Stilwechsel an der Skulptur der «Tauschwestern», die zwei in Tücher verhüllte Frauenkörper zeigt, «wahrscheinlich handelt es sich dabei um Aphrodite und Artemis», erklärt die Archäologiestudentin. Die Figuren stammen aus der Zeit zwischen 438 und 432 vor Christus und prangten einst am Ostgiebel des berühmten Tempels Parthenon auf der Athener Akropolis. Sie sind zwar nur noch fragmentarisch erhalten, doch der klassische Stil zeigt sich hier sehr klar: «Der Stoff der Gewänder ist sehr realistisch drapiert, unter den Falten lassen sich die Körper aber deutlich erkennen», so Urango.


So weich gebettet – und doch hart wie Stein: Die «Tauschwestern» prangten einst am Parthenon (um 435 v. Chr.). (Bild: mei)

«Diese Gipse soll man in die Aare werfen»

Dass die Statuen und Büsten heute noch öffentlich zugänglich sind, ist nicht selbstverständlich, durchlebten sie doch eine regelrechte Berner Odyssee: Ihren Anfang nahm die Antikensammlung im Jahr 1806, als der Staat Bern die Abgüsse als Vorlage für die Zeichenschule der Berner Akademie aus Paris orderte. Die Sammlung wuchs kontinuierlich. Ab 1864 wurden die Figuren für 15 Jahre im Bundesratshaus ausgestellt, bevor sie 1879 in das neu gebaute Kunstmuseum einzogen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren Gipsabgüsse jedoch an Popularität, ihnen fehlte es laut der Direktion des Kunstmuseums angeblich an Echtheit. So wurden die Kopien der antiken Bildnisse in den 1930er Jahren aus dem Museum verbannt. Für eine gar drastische, endgültige Lösung plädierte der Maler und damalige Mitdirektor Cuno Amiet: «Diese Gipse soll man in die Aare werfen, sie verderben nur den guten Geschmack unserer heutigen Künstler.»

Die Odyssee endet an der Uni

Doch soweit sollte es nicht kommen: Nach einer Zeit der Zwischenlagerung auf dem Estrich des Gymnasiums Kirchenfeld rettete in den 1970er Jahren der damalige Leiter des Archäologischen Seminars der Universität Bern, Hans Jucker, die Sammlung und machte sie wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Seit 1995 ist die Antikensammlung Bern am heutigen Standort in der Hallerstrasse 12 ausgestellt, wo sie unter anderem ihren ursprünglichen Zweck erfüllt: Die Büsten und Statuen dienen Schulklassen im Zeichenunterricht häufig als Modelle. Sie sind auch wertvolles Anschauungsmaterial für junge Archäologinnen und Archäologen der Uni, die so ihre Kenntnisse der antiken Bildsprache erweitern können. Besuchen auch Sie die altertümlichen Figuren, vielleicht erkennen Sie ja die schöne Kleopatra an ihrer einzigartigen Nase?

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