Biotop Bern

Bunte Blumen, Echsen, Biber, ja sogar Schlangen: Die Stadt ist ein Biotop. Auf einer Führung durch einen Berner Aarehang zeigte die Biologin Sabine Tschäppeler von der Stadtgärtnerei die Bedeutung der Artenvielfalt.

Von Matthias Meier 16. Mai 2012

«Die Aare ist das ökologische Rückgrat Berns – im Wasser, an den Ufern sowie den Aarehängen lebt eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren.» Die Biologin Sabine Tschäppeler erklärte im Rahmen des Swiss Life Sciences Festival auf einem Rundgang von der Bundesterrasse durch das Marzili-Quartier die Bedeutung der Artenvielfalt – der sogenannten Biodiversität. «Mitten in der Stadt Bern gibt es unzählige naturnahe Nischen und Grünflächen», erläutert Tschäppeler von der Fachstelle «Natur und Ökologie» der Stadtgärtnerei Bern. Bis vor kurzem wurde die Biodiversität in Städten laut der Expertin kaum berücksichtigt, doch jüngst steigt das Bedürfnis der Schweizer Bevölkerung – auch das der Städterinnen und Städter – nach der ursprünglichen Vegetation, «die Leute wollen die Natur wahrnehmen».

Mauerblümchen mögen es trocken – oder feucht

«Es ist erstaunlich, wie viele Arten auf engstem Raum leben», sagt Sabine Tschäppeler und macht Halt an einer Ecke unterhalb der Bundesterrasse. Nebeneinander wachsen hier in einer Mauerritze zwei sehr unterschiedliche Pflanzen: Einerseits der Weisse Mauerpfeffer, eine auf Wasserknappheit spezialisierte Art, die Flüssigkeit in ihren dicken Blättern speichert. Andererseits bietet der Mauerabschnitt Lebensraum für Farne und Moose, beides Gewächse, die auf ausreichend Flüssigkeit angewiesen sind. «In städtischen Gebieten treffen wir ganz verschiedene Bedingungen an, feuchte, schattige, aber auch trockene Umgebungen liegen häufig nahe beieinander», so die Biologin. «Im Fall der Wegmauer entscheidet der Abfluss des Wassers und die Beschattung über das Vorkommen der verschiedenen Arten.»

Exotische Gäste verdrängen schwache Pflanzen

Nur wenige Meter weiter leben in einer Magerwiese am Aarehang besonders hartgesottene Pflanzen, gleichwohl blühen die Wiesen-Flockenblumen und Margeriten in allen möglichen Farben. «In dieser Hanglage sind nur wenig Nährstoffe im Boden, für die Gräser und Blumen bedeutet dies ein Extremstandort», erklärt Sabine Tschäppeler und fügt an, «dafür ist hier die Konkurrenz mit anderen Arten weniger gross». Für die Biodiversität sind gerade diese Standorte sehr wichtig. Durch die speziellen Bedingungen entstehen nämlich Nischen für so genannt schwache Pflanzen, die an anderen Standorten zunehmend verdrängt werden. Laut Tschäppeler sind es vor allem exotische Arten aus Ostasien und Amerika, die sich in jüngster Zeit bei uns stark verbreitet haben und die einheimischen Gewächse verdrängen, so etwa die kanadische Goldrute und der Japanknöterich – «für die Artenvielfalt ist das ein grosses Problem.»

Wiese unterhalb Bundeshausterrasse
Wo die Konkurrenz nicht überlebt, blühen sie: Wiesen-Flockenblumen unterhalb der Bundeshausterrasse. Bilder: mei

Katzen sind Biodiversitäts-Killer

Auch über die tierische Vielfalt wusste Tschäppeler einiges zu berichten. Ein regelrechter Biodiversitäts-Killer sei die Hauskatze, denn die Katzendichte ist in Städten sehr hoch. «Die Tiere unterdrücken ihren Jagdtrieb nicht: Sie fressen Vögel, Frösche, Eidechsen und sogar junge Feldhasen.» Umso wichtiger ist es, dass diesen Lebewesen Rückzugsorte zur Verfügung stehen, so etwa in einer Steinmauer, die mit Efeu überwachsen ist. «Das ist ein Biotop für Mauereidechsen und Insekten, hinter dem Efeu können sich die Tiere gut verstecken», führt die Expertin aus. Gleichzeitig sei die Kletterpflanze eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel, denn die Beeren des Efeus sind im ansonsten kargen Winter reif.

Wilder Wein wächst an Hausfassade
Lebensraum für Heuschrecken und Vögel: Wilder Wein wächst an einer Hausfassade im Marziliquartier.

Mehr Grün statt Asphalt

Damit die Artenvielfalt in Städten erhalten bleibt, muss der Mensch seinen Beitrag leisten. Schon mit einfachen Massnahmen kann das Leben von Pflanzen und Tieren erleichtert werden: «Grünes auf Balkon und an Fassaden, ein Biotop im Garten oder der Verzicht auf Asphalt an unbefahrenen Orten beispielweise bieten Lebensräume für Insekten und Amphibien», erklärt Tschäppeler die Situation im Marziliquartier. Das Ziel der Fachstelle Natur und Ökologie der Stadtgärtnerei sind Regeln, die mithelfen, die Biodiversität im urbanen Raum zu erhalten. «Das lohnt sich, denn Biodiversität hat einen Wert und Nutzen», verspricht Tschäppeler. Viele Menschen fühlten sich wohler, wenn sie in ihrem alltäglichen Umfeld Natur wahrnehmen. «So bereichert die Vielfalt der Arten die Gesellschaft als Ganzes». Sabine Tschäppeler sagts und zeigt auf den Aareweg, wo man mit etwas Glück einen Biber beobachten kann.