Die Mär vom guten weissen Kalbfleisch

Mais statt Stroh: Diese Alternative macht den Speiseplan von Mastkälbern bereits reichhaltiger. An der Uni Bern besprachen Forscher, Produzenten, Metzger und Grossverteiler den Weg zur artgerechteren Fütterung von Mastkälbern. Das Fazit: Das Tierwohl liegt allen am Herzen.

Von Bettina Jakob 22. März 2012

Rindfleisch ist rot, Kalbfleisch ist blass. So macht es die Natur, lautet die landläufige Meinung. In der Vitrine des Metzgers mag das Kalbfleisch zwar meist hell sein, doch natürlich ist diese Farbe nicht: Die Mastkälber werden bislang häufig nur mit Milchprodukten gefüttert, als alleiniges Festfutter bekommen sie Stroh. «Heu hingegen ist eisenhaltiger und würde das Fleisch rot färben», erklärt Adrian Steiner von der Nutztierklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern.

Kalb wird getränkt mit Milch
Schmackhaft, aber zu einseitig: Mastkälber werden noch immer hauptsächlich mit Milch gefüttert. Bild: istock

Durch diese einseitige Nahrung werden die Kälber in der Folge nur mangelhaft mit Eisen versorgt. «Sie leiden ständig an leichter Blutarmut, haben ein geschwächtes Immunsystem und ihr Pansen, der für die Wiederkäuer typische Vormagen, ist nicht voll entwickelt», so der Veterinärwissenschaftler. Mastkälber würden öfters an Magengeschwüren erkranken als ihre Altersgenossen, die auf der Weide grasen dürfen oder Heu erhalten.

Das Gesetz wird strenger

Dem fehlerhaften Bild des guten weissen Kalbfleisches tritt der Schweizer Tierschutz entgegen. Er führte jetzt an der Vetsuisse-Fakultät der Uni Bern den zweiten Kälbergipfel durch. Forschende, Metzger, Händler und Vertretende von Grossverteilern besprachen Schritte zu einer artgerechteren Fütterung der Mastkälber. «Ausserdem muss sich die Branche überlegen, wie sie der Konsumentin und dem Konsumenten in Zukunft rotes Fleisch schmackhaft machen will», betont Adrian Steiner.

Am Kälbergipfel wurde einstimmig ein Kommunikationskonzept von «Proviande», der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft verabschiedet, welches zum Ziel hat, die Akzeptanz des gesunden rötlichen Kalbfleisches bei der Konsumentenschaft zu steigern. Die Zeit drängt derweil: Schon im kommenden Jahr tritt eine Gesetzesänderung in der eidgenössischen Tierschutzverordnung in Kraft, wonach Stroh als alleiniges Festfutter für Mastkälber nicht mehr ausreicht.

Die reichhaltigere Alternative

Die Uni Bern ist nicht nur Gastort des Kälbergipfels, sondern liefert auch vielversprechende Forschungsergebnisse, wie der Speiseplan der Mastkälber ausgewogener gestaltet werden kann: «Wir haben herausgefunden, dass Maiswürfel aus ganzen Pflanzen ein geeigneter Ersatz für das Stroh sind», so Nutztier-Experte Steiner: Die Kälber sind gesünder und haben einen funktionierenden Pansen. Es möge sein, dass einige Kälber dadurch röteres Fleisch hätten. Das Farbdiktat durch den Markt dürfe jedoch nicht länger aufrecht erhalten werden; bislang erhalten die Fleischproduzenten rund drei Franken weniger für das Kilo rotes Kalbfleisch. Die Situation ist paradox: In Degustationen konnte gemäss Steiner nämlich gezeigt werden, dass rotes Kalbfleisch den Konsumenten genauso schmeckt wie weisses.

Steiners Fazit zum zweiten Kälbergipfel fällt positiv aus: «Das Tierwohl liegt allen sehr am Herzen. Es ist allen Akteuren klar, dass die Gesundheit der Mastkälber optimiert werden muss.» Produzenten und Händler haben nun als Hauptmerkmal für das Qualitätsprodukt «Kalbfleisch» das Alter festgesetzt; das maximale Schlachtalter soll bei 160 Lebenstagen liegen. Die Beteiligten wollen nun Nägel mit Köpfen machen – der nächste Kälbergipfel wurde bereits angesetzt.