Die Schweiz im Bundeshaus
Für die Schweiz als Demokratie ist das Bundeshaus ein zentraler Ort. Wie die Gebäude aussehen, weiss jeder und jede – was dahintersteckt dagegen kaum.
Parlamente stehen heute mehr denn je im Fokus politischer Prozesse. Jenseits tagespolitischer Aktivitäten bilden die Parlamentsbauten mitsamt ihrer Ausstattung nationale Monumente, die häufig den Prozess der Nationenwerdung und das nationale Selbstverständnis dokumentieren. Herausragendes Beispiel dafür ist das Berner Bundeshaus.
Nicht nur ist es ein monumentaler Bau, der an prominenter Stelle auf der Südseite der oberen Altstadt thront – mit Blick über das Aaretal und in die Alpen. Nicht nur besitzt es eine markante, weitherum sichtbare Kuppel, die golden in der Sonne strahlt. Sondern es steckt auch eine komplexe Baugeschichte dahinter. Und: «Von der Symbolik her ist es ein äusserst ausgeklügeltes Gebäude», sagt Kunsthistorikerin Monica Bilfinger vom Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL). In Zusammenarbeit mit ihr hat das Institut für Kunstgeschichte der Uni Bern die internationale Tagung «Parlamentarische Repräsentationen» (siehe Kasten) organisiert.
Kuppel war «ein Furz»
Die Geschichte beginnt 1848: An der ersten Bundesversammlung nach der Gründung des modernen schweizerischen Bundesstaates wurde Bern als Bundeshauptstadt ausgewählt. Sogleich stellte sich die Standortfrage für das zu bauende Bundes-Rathaus. Es standen etwa 20 Möglichkeiten zur Diskussion – unter anderem der heutige Standort des Uni-Hauptgebäudes «auf dem Kapitol», so Martin Fröhlich, Architekt und Vorgänger von Bilfinger beim BBL.

«Doch war es der Stadt ziemlich egal, wo der Bau genau stehen wird», ergänzt Fröhlich. Wichtig sei gemäss der Wettbewerbsausschreibung gewesen, dass das Bundes-Ratshaus ein einfacher, zweckmässiger und kostengünstiger Bau werde. Errichtet wurde das heutige Bundeshaus West von 1852 bis 1857.
Als 1874 die totalrevidierte Bundesverfassung in Kraft trat, hatte dies auch bauliche Folgen: Durch die Erweiterung der Bundeskompetenzen wurde ein Ausbau der Bundesverwaltung nötig. Es fanden in der Folge zwei Wettbewerbe statt, 1885 für ein zweites Verwaltungsgebäude – das heutige Bundeshaus Ost – und 1891 für ein Parlamentsgebäude in der Mitte der bestehenden Bauten.
Für beide erhielt der Architekt Hans Wilhelm Auer den Zuschlag, obwohl er 1885 nur Zweitplatzierter war. «Mit Recht hatte er nicht gewonnen», meint Fröhlich, «die Kuppel ist ein völliger Furz, denn kein Mensch baut eine Kuppel über einer Treppe.» Allerdings sei Auer von den Bernern und der Verwaltung unterstützt worden.
Konzept der Schweiz
Die Rettung für die Kuppel kam in Form der Idee, aus ihr ein Nationaldenkmal zu machen. «Der Bundesstaat war damals noch sehr jung, und man wusste nicht genau, was die Schweiz ist. So hat Auer ein Konzept der Schweiz entworfen», erläutert Bilfinger, die sich vor allem mit dem Parlamentsgebäude befasst hat.
Demnach ist unser Land die Summe aller Kantone, damals noch 22 ohne den Jura, abgebildet im Dach der Kuppel und versinnbildlicht durch die insgesamt 22 Fenster rund um die Kuppel. Vier Medaillons zeigen die Staatsaufgaben: das Militär, die Schule, die Juristerei und – «wohl eher ein Witz», so Bilfinger – die Architektur. Vier Lünettenfenster stellen Szenen aus dem Arbeitsleben dar: die Textilindustrie der Ostschweiz, die Landwirtschaft im Alpenraum, die Metallindustrie im Jura und der Handel in Basel.

«Auch wo wir herkommen, war für dieses Konzept zentral, schliesslich gibt es die Schweiz nicht erst seit 1848», betont Bilfinger. So werde mit dem monumentalen Denkmal «Die drei Eidgenossen» deutlich auf den Ursprung der Schweiz hingewiesen. Ebenfalls dargestellt sind Winkelried und Niklaus von Flüe, der Schutzpatron der Schweiz. Ein Relieffries nimmt Bezug auf eine Szene in Schillers «Wilhelm Tell», als die Ahnen in der Innerschweiz ankommen und Schwyz gründen.
Nicht fehlen darf schliesslich das Volk: die Landesteile werden repräsentiert durch «Die vier Landsknechte» – je ein Deutschschweizer, Romand, Bündner und Italiener als bronzene Soldaten dargestellt. Die einzelnen Kantone sind ausserdem auf einer weiteren Ebene repräsentiert: Es wurden vorwiegend Schweizer Gesteine aus 13 Kantonen verbaut. Ebenfalls stammen alle Kunstwerke von Schweizer Künstlern.
Zufälle sind Glücksfälle
Nach der Einweihung des Parlamentsgebäudes 1902 wurden grundsätzlich keine grossen Veränderungen daran vorgenommen. Einzelne Projekte datieren in die 1960er Jahre: Verschiedene Räume wie das Sitzungszimmer des Bundesrats oder die Bibliothek wurden weiss gestrichen und die Decken abgehängt. Ebenso wurde das Mobiliar der Wandelhalle umgestaltet. 1965 fand die Einweihung des Fernsehstudios, das als kaum sichtbarer Aufbau errichtet worden war, statt. Seit 1979 prangt das Wappen des Kantons Jura an der Kuppeldecke.
Alle radikalen Pläne scheiterten allerdings. So stiess beispielsweise der Architekt Martin Risch mit seinem Vorschlag, die Kuppel durch einen quer liegenden Büroturm zu ersetzen, in den 1950er Jahren auf starke Ablehnung. Bei einem Erweiterungsprojekt von Mario Botta in den 90ern standen juristische Bedenken im Weg. Auch zeigte laut Bilfinger die Baudirektion durchgehend Zurückhaltung in Bezug auf Eingriffe. «Diese Zufälle haben sich als Glücksfälle erwiesen, sodass wir heute von einem Baudenkmal sprechen können.»

Erst die umfassende Sanierung und der Umbau des Parlamentsgebäudes in den Jahren 2006 bis 2008 brachten Neuerungen: Basierend auf dem Belegungskonzept 2000 erfolgte eine Reduktion der Nutzung auf das Wesentliche. Das Medienzentrum sowie verschiedene Bundesämter zogen aus – das Parlamentsgebäude ist nun dem Parlament vorbehalten. Die Haustechnik wurde erneuert und an der Südseite ein Besuchereingang eingerichtet. Das inwendig weiss gewordene Haus erstrahlt wieder in seiner ursprünglichen Farbenpracht: «Wir haben Tapeten, Wandfarben und Vorhänge rekonstruiert», erklärt Monica Bilfinger, die den Umbau begleitet hat.
An den Kunstwerken wurde nichts verändert. Ist diese Repräsentation der Schweiz noch zeitgemäss? «Das Parlamentsgebäude ist ein Bau, der noch heute die Eidgenossenschaft gar nicht so schlecht abbildet», ist Martin Fröhlich überzeugt.
Internationale Tagung
Unter dem Titel «Parlamentarische Repräsentationen: Das Bundeshaus in Bern im Kontext internationaler Parlamentsbauten und nationaler Strategien seit 1830» fand im Berner Bundeshaus vom 17. bis 19. Oktober eine internationale Tagung statt, die vom Institut für Kunstgeschichte organisiert wurde. Nationale und internationale Experten hielten Referate zu Themen wie Architektur und Ikonografie, der Entstehung und Entwicklung des Bundeshauses oder der Architektur, Kunst und Politik der nationalen Identität. Das Programm umfasste Beiträge zu Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Grossbritannien, Israel, Österreich und der Schweiz.