Die Wiege der Weihnachtslieder

Advent und Weihnachten wären nicht das gleiche ohne sie: die Weihnachtslieder. Die traditionellen Gesänge entstammen dem kirchlichen Kontext. Heute ist aber auch der Einfluss der Populärkultur spürbar, wie Musikwissenschaftler Anselm Gerhard sagt.

Von Sandra Flückiger 21. Dezember 2012

«Stille Nacht, heilige Nacht ...» erklingt es bald aus festlich geschmückten Wohnzimmern, «Last christmas, I gave you my heart» hören wir schon seit geraumer Zeit im Radio. Die Weihnachtslieder und ihre Texte sind allseits bekannt. Doch wo haben sie eigentlich ihren Ursprung, aus welcher Zeit stammen sie? «Weihnachten ist ein kirchliches Fest, deshalb stammen die meisten Weihnachtslieder aus diesem Kontext», erklärt Anselm Gerhard, Professor für historische Musikwissenschaft und Direktor des Instituts für Musikwissenschaft der Uni Bern. Wichtig sei in diesem Zusammenhang vor allem die Unterscheidung zwischen der protestantischen und der katholischen Kirche.

Notenblatt
Ursprünglich ein katholisches Weihnachtslied, heute wohl das weltweit bekannteste: «Stille Nacht, heilige Nacht». Bild: LiliGraphie - Fotolia.com

Reformiertes Lied mit katholischer Melodie

So gibt es Lieder mit eindeutig katholischem Ursprung wie beispielsweise «Stille Nacht, heilige Nacht», das gemäss Gerhard der katholischen Volkstradition in Salzburg entstammt. «1816 wurde der Text gedichtet, kurz darauf die Melodie komponiert. Damit gehört es zu den neueren Weihnachtsliedern», so Gerhard.

Als typisch reformiertes Weihnachtslied kann «Vom Himmel hoch da komm ich her» angeführt werden: Es wurde vom Reformator Martin Luther 1535 als Gemeindelied für den Gottesdienst gedichtet.
«Interessant ist, dass es auch Mischformen von reformierten und katholischen Liedern gibt – wie etwa das ebenfalls sehr bekannte ‹O du fröhliche›», sagt Anselm Gerhard. Gedichtet hat dieses Lied ein Weimarer Waisenhausdirektor, gesungen wird es auf die Melodie eines Marienliedes aus dem 18. Jahrhundert.

Einfluss der Reformation

Was auffällt: Weihnachtslieder kommen hauptsächlich aus dem deutschen Sprachraum. Nicht nur die bisher aufgezählten, sondern beispielsweise auch «Ihr Kinderlein kommet» oder «Leise rieselt der Schnee». «Der Fundus an deutschen Weihnachtsliedern ist gross», erklärt Gerhard. «Deutschland gilt weltweit als Land der Musik. Auch besteht eine lange Weihnachtstradition in der Herstellung von Christbaumschmuck und dessen Verkauf an den Märkten.» Durch die Reformation sei der Anteil an volkstümlichen Elementen in den Liedern ausserdem höher als in katholischen Ländern, in denen populäre Lieder viel seltener Eingang in den Gottesdienst fanden.

Christkindlmarkt
Viele bekannte Weihnachtslieder stammen aus Deutschland, wo auch die Produktion von Christbaumschmuck und die Christkindlmärkte eine lange Tradition haben. Bild: StockPixstore - Fotolia.com

Eigentlich ein Schlager

«Heutzutage haben wir einen Gesamtbestand an Weihnachtsliedern, der kaum mehr konfessionell bedingt ist. Die Lieder werden ausserdem mittels Populärkultur und Tonträger statt wie früher durch Gesangbücher verbreitet», ergänzt Gerhard.

Als Beispiel dafür führt der Musikwissenschaftler «Petit Papa Noël» an, ein bekanntes französisches Weihnachtslied, das etwa auch von Céline Dion gesungen wird. Allerdings sei dieses ursprünglich gar nicht für die Festtage komponiert worden: «Der französische Schauspieler Tino Rossi singt es im Film ‹Destins›», erläutert Gerhard. «Dieses Lied steht für moderne Weihnachtslieder, die eigentlich als Schlager entstanden sind.»