Leidenschaft statt «kalte Betten»

Er hat den Tourismus in der Schweiz 30 Jahre wissenschaftlich begleitet: Hansruedi Müller vom FIF blickte in seiner Abschiedsvorlesung auf seine Anfänge als Assistent zurück – und in die Zukunft.

Von Matthias Meier 26. Januar 2012

«Im Reisen sind wir widersprüchlich: Ferien sollen einerseits immer bequemer werden, gleichzeitig wollen wir aber immer individueller, spontaner, billiger, exotischer und erlebnisreicher Urlaub machen.» Mit diesen Worten beschrieb Hansruedi Müller in seiner Abschiedsvorlesung die aktuellen Reisetrends. Müller ist einer der bedeutendsten Tourismusforscher im deutschsprachigen Raum. Nach 30 Jahren am Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF) der Universität Bern, das er seit 1989 leitet, geht er per Ende Januar in Pension. Mit Hansruedi Müller verliert die Universität einen engagierten Wissenschaftler, der seine Forschungsprojekte stets mit viel Herzblut verfolgte. Zu seinen Ehren wurde heute, am 26. Januar 2012 in der Aula des Hauptgebäudes ein Symposium veranstaltet, an dem verschiedene Expertinnen und Experten über die Situation im alpinen Tourismus debattierten.


Ein leidenschaftlicher Referent: Hansruedi Müller gewinnt sein Publikum für sich. (Bild: FIF)

Architektonischer Wildwuchs in den Alpen

In seiner letzten Vorlesung blickte Hansruedi Müller in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft des Tourismus in der Schweiz – insbesondere in den Alpen. Dabei erinnerte er sich an seine erste Aufgabe als Assistent am FIF im Jahre 1982: «Vom damaligen Direktor Jost Krippendorf wurde ich beauftragt, die Herausforderungen des Schweizer Tourismus fotografisch zu dokumentieren.» Und er hat dabei einiges vor die Linse bekommen. Damals, in den 1970er und 1980er Jahren, habe sich der alpine Tourismus in einer starken Wachstumsphase befunden. Grossangelegte Bauprojekte veränderten das Bild vieler kleiner Bergdörfer, «es herrschte architektonischer Wildwuchs», so Müller.


Architektonischer Wildwuchs: Bereits 1982 reihte sich in den Bündner Bergen Ferienhaus an Ferienhaus. (Bild: Hansruedi Müller, 1982)

Aus diesem Chaos habe sich ein Bewusstsein für die Problematik dieser Entwicklung ausgebreitet: «Viele Einheimische begannen gegen die Überbauung der Berge zu protestieren», erinnert sich der Tourismusexperte an die Anfänge des Nachhaltigkeitsgedankens. «Man wollte etwas gegen dieses unkoordinierte Wachstum tun, aber man wusste nicht recht wie und was.» Seither sind 30 Jahre vergangen: Doch wenn man heute Bilanz ziehe, könne man zu einer sehr ähnlichen Einschätzung kommen wie 1982.


Der Bauboom als Bedrohung: Die traditionelle Wirtschaft in den Alpen ist vom Tourismus herausgefordert. (Bild: Hansruedi Müller, 1982)

«‹Kalte Betten› sind nicht nachhaltig»

«Der Bauboom in den Alpen hält auch heute noch an», stellt Müller klar. Vor allem Zweitwohnungen und Appartements werden weiterhin in grossem Stil gebaut; eine Entwicklung, die Hansruedi Müller gar nicht gefällt: «Diese Ferienwohnungen stehen die meiste Zeit leer. Solche ‹kalten Betten› sind alles andere als nachhaltig.» Eine Trendwende sei aber nicht abzusehen, die Welthandelsorganisation WTO prophezeit dem internationalen Tourismus weiteres Wachstum.

Der Tourismus in der Schweiz muss sich grossen Herausforderungen stellen: «Der Konkurrenzdruck nimmt mit der fortschreitenden Globalisierung zu», so Müller. Immer mehr Feriendestinationen seien für immer mehr Menschen erreichbar. «Auch der Klimawandel stellt uns vor eine neue Ausgangslage, wir sind gezwungen, uns dem Klima anzupassen und neue, innovative Tourismusmodelle zu entwickeln», so der Wissenschaftler. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem starken Franken seien diese Aufgaben besonders schwierig zu meistern. Letztendlich gebe es nur ein Rezept: «Die Schweiz muss besser werden.»


Bringt die Zukunft noch höhere Türme für Crans-Montana? Der internationale Tourismus soll weiterhin wachsen. (Bild: Hansruedi Müller, 1982)

Leidenschaft als Erfolgsrezept

Was heisst das? «Das touristische Angebot muss an Qualität gewinnen und sich von anderen Ländern unterscheiden – die Schweiz soll anders sein», stellt Müller klar. Um dies zu erreichen, brauche es eine gute Inszenierung des Bestehenden. Doch sei das alles nutzlos, wenn es nicht mit grosser Leidenschaft geschehe.
An dieser hat es Hansruedi Müller selber nie gefehlt: Er erforschte und beriet die Tourismusbranche mit unermüdlichem Engagement. Mit seiner Begeisterungsfähigkeit lebte er das Erfolgsrezept für den Schweizer Tourismus auch in seiner letzten Vorlesung vor – mit einem leidenschaftlichen Referat gewann er das Publikum für sich.

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