Gibt es den «Schwiizer Buur» bald nicht mehr?

Der Boden, die Familie, das Tier, die Selbstständigkeit: Diese Werte halten den Bauer auf seinem Hof, wie die Berner Sozialanthropologin Gabriela Rauber sagt. Und so werden in der Schweiz weit weniger Landwirtschaftsbetriebe aufgegeben als erwartet.

Von Bettina Jakob 25. Januar 2012

Ein bisschen Schweizer Idylle verschwindet – immer mehr Bauern führen ihren Hof nicht weiter. Der Grund: Die früher tragende Haltung des Bundes gegenüber dem Bauer mit dem schönen Simmentaler Fleckvieh hat in den letzten Jahrzehnten abgenommen – gemäss Landwirtschaftsgesetz muss heute die Produktion nachhaltig und stärker auf den Markt ausgerichtet werden. Die Zeit der unkomplizierten staatlichen Unterstützung ist vorbei, der Wind der freien Marktwirtschaft bläst rau, die rechtlichen Strukturen sind komplexer geworden, es gelten neue Tierschutznormen.

Emmental
Der Weg zum eigenen Bauernhof ist in der Schweiz steiler geworden. Bild:zvg

Dieser Strukturwandel wird vom Bund bewusst in Kauf genommen, wie Gabriela Rauber von den Berner Sozialanthropologen sagt. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) strebe aber einen sozial verträglichen Wandel an, der es den Bauern erlauben soll, den Betrieb bis zur Pension zu bewirtschaften. «Doch unterkapitalisierte kleine und mittlere Betriebe sollen dann so unattraktiv sein, dass sie schliesslich nicht weitergeführt werden», so Rauber.

Der eigene Chef sein

Die Rechnung des Bundes scheint aufzugehen – allerdings jüngst nicht mehr so schnell, wie erwartet: Jährlich sollten bis zu 2,5 Prozent der Bauernbetriebe verschwinden, was innerhalb einer Generation (25 Jahre) die Reduktion aller Bauernbetriebe in der Schweiz um die Hälfte bedeuten würde. Während der Betriebsrückgang seit Beginn der 1990er Jahre tatsächlich gar deutlich über dieser Marke lag, ging die Anzahl in den letzten Jahren jeweils nur noch um rund 1,8 Prozent zurück. Die unrentabelsten Höfe seien bereits weg, was den Prozess entschleunige, vermutet das BLW. Das glaubt Sozialanthropologin Rauber nur bedingt. In ihrer Studie hat sie andere wichtige Gründe gefunden, warum auch heute noch Jungbauern die Höfe ihrer Eltern übernehmen – allen Schwierigkeiten zu Trotz: «Der Boden, das Vieh, die Natur, die Familientradition, der eigene Chef sein – das ist immer noch hoch geschätzt.»

Kuf auf einer Wiese
Der Schweizer Bauer hängt an Tieren und Natur. Bild: zvg

Das Kapital des Bauern

Nicht zu unterschätzen sind neben ökonomischen Aspekten also soziale und kulturelle Kräfte, wie Gabriela Rauber ausführt. Sie hat vier Berner Milchwirtschaftsbetriebe intensiv untersucht und festgestellt, dass etwa die Verwandtschaftsbande Grosseltern, Eltern und Kinder stark an den Hof bindet. «Alle helfen tatkräftig beim Heuen mit, meist ohne die Mitarbeit in Frage zu stellen.»

Ebenso ist die Übergabe des Betriebes innerhalb der Familie eine tief verwurzelte Tradition, Sohn und Tochter werden typischerweise schon früh von der Bauernkultur geprägt. «Sie sitzen schon im Kinderwagen neben dem Feld, fahren als Kind auf dem Traktor mit, tränken die Kälber oder helfen im Stall», so Rauber. Daraus erwächst nicht nur früh eine Bindung, sondern auch ein Streben nach Anerkennung: Jeder Milchbauer bemüht sich Kühe im Stall zu haben, die viel Milch liefern, jeder Viehzüchter möchte seine «Alma» an den Viehschauen als die Schönste gekürt sehen. Mit traditionellem Arbeitsethos und 14-Stunden-Tagen setzen sie sich dafür ein. «In der soziologischen Theorie, die meiner Studie zugrunde liegt, entspricht dies dem kulturellen und symbolischen Kapital, welches für Bauernfamilien zentral ist», sagt Rauber.

Die Kraft der Ideologie

Am Hang des Oberemmentaler Seitentals klebt das Heimetli von Simon Graber (Name geändert). Keine Chance, hier Getreide zu pflanzen oder mit grossen Maschinen das Futter für die acht Kühe zu gewinnen. Die junge Familie setzt auf Weideflächen und die Biomilch ihrer 21 Ziegen. Mit im alten Bauernhaus wohnen auch die Eltern von Frau Andrea, die jedoch nicht auf dem Hof mithelfen; es herrscht Streit unter den Generationen. «Eine schwierige Situation», so Gabriela Rauber, sei doch die unentgeltliche Familienarbeit oftmals existenzsichernd. Ein Teil dieses fehlenden sozialen Kapitals wird auf diesem Hof durch die ebenfalls typische Nachbarschaftshilfe unter den Bauern kompensiert. Dass Grabers ihr Gut am Steilhang durchbringen würden, hänge aber vor allem an der starken Bindung zum Hof und an der «Vollblut-Ideologie der Biolandwirtschaft». Sie wollen kämpfen «bis zum Schluss».

Weiteres Bild des Emmentals
Auch wenns rauf und runter geht: Viele Bauern wollen ihren Betrieb unbedingt weiterführen. Bild: zvg

Worte, die für viele Bauern gelten: «Grund und Boden gehören zum Selbstbild des Bauern, sie wollen ihr eigener Herr und Meister bleiben», so die Berner Sozialanthropologin. Dieses Unabhängigkeitsgefühl sei auch ein Grund, warum sich viele nicht in Betriebsgemeinschaften organisieren wollen, «obwohl dies rein wirtschaftlich oft sinnvoll wäre und deshalb heiss debattiert wird».

Was passiert in der Zukunft?

Sterben die Bauern in der Schweiz also nicht aus? «Nein», glaubt Rauber, «viele gehen mit den Veränderungen mit und passen sich an. Nicht wenige tun dies sehr erfolgreich». Allerdings werde der Strukturwandel in der Landwirtschaft weiter voranschreiten, vielleicht gar wieder in beschleunigter Form, meint die Forscherin. Etwa wenn die heutige Grosseltern-Generation wegsterbe, die auf manchem Emmentaler Heimetli noch kräftig anpacke und so zum Überleben beitrage: «Bauernfamilien, die diese Lücke dann nicht schliessen können, müssen den Betrieb umstellen, mehr auswärts arbeiten gehen – oder allenfalls sogar aussteigen.»

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