Mehr Macht für die Hauptstadt

Hauptstädte und ihre Funktion: Das ist das Thema der Vorlesungsreihe des Collegium generale. Der neue Verein Hauptstadtregion Schweiz will neben den Metropolitan-Räumen Zürich, Basel und Bassin Lémanique Akzente setzen. Hochkarätige Politiker diskutierten an der Uni Bern.

Von Bettina Jakob 23. Februar 2012

Bern ist die Hauptstadt der Schweiz und liegt mitten im Land. Doch ist die Hauptstadt auch «im Herzen der Macht?», wie die aktuelle Vorlesungsreihe des Collegium generale der Uni Bern fragt? Hauptstädte sind Standorte für nationale und politische Institutionen, für private Akteure, für Lobbyisten und Verbände. Daraus entsteht ein spezielles Wertschöpfungssystem, welches sich nicht unbedingt über seine wirtschaftliche Dynamik, Innovationskraft oder internationale Orientierung auf Finanzmärkten auszeichne, sondern subtiler über Funktionen und Bezüge der Akteure untereinander die Nation präge. So fassten die Organisatoren Heike Mayer vom Geographischen Institut und Fritz Sager vom Kompetenzzentrum Public Management in ihrer Einführung zusammen. Wie es um Bern, um die Hauptstadt der Schweiz und seine Umgebung steht – das wollte Heike Mayer als Co-Autorin einer Studie herausfinden, welche sie im Auftrag des «Vereins Hauptstadtregion Schweiz» durchgeführt hat.


Diskussion um die Hauptstadtregion (v.l.): A. Tschäppät, C. Nicati, A. Rickenbacher, H. Mayer, F. Sager, W. Luginbühl, M.Täuber. (Bilder: Zvonimir Pisonic)

Gegengewicht zu den Metropolitanräumen

Fritz Sager beleuchtete vor vollen Rängen die Hintergründe, die zur Gründung des neuen Vereins geführt hatten: Die Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg, Solothurn und Wallis schlossen sich vor einem Jahr zusammen, «um gegenüber den drei vom Bund deklarierten Metropolitan-Räumen Zürich, Basel und Bassin Lémanique ein Gewicht zu bekommen», so Sager.

Was soll diese Hauptstadtregion leisten und können? Auf dem Podium der Eröffnungsveranstaltung formulierten und diskutierten der Uni-Rektor Martin Täuber, der Berner Ständerat Werner Luginbühl, der Berner Volkswirtschaftsdirektor Andreas Rickenbacher, der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät und Claude Nicati, Regierungsrat des Kantons Neuenburg, Ziele und Visionen des überkantonalen Schulterschlusses.


Co-Präsident des Vereins Hauptstadtregion Schweiz: der Berner Volkswirtschaftdirektor Andreas Rickenbacher.

Politik als Zentrum

Schluss mit dem Klischee der «trägen Beamtenstadt mit einer strukturschwachen Umgebung» machte Co-Präsident des Vereins Andreas Rickenbacher: «Bern hat etwas, was dieses Land dringend braucht, nämlich ein starkes Politzentrum». Die Hauptstadtregion Schweiz soll «die Nähe zur nationalen Politik als Standortvorteil und wirtschaftliches Kapital besser nutzen». Sie solle die Position als Entscheidungszentrum ausbauen und das Kompetenzzentrum für Public Management der Schweiz werden: Hier komme etwa auch die Uni Bern zum Zug, die gemäss Rektor Martin Täuber in ihrer Strategie festgeschrieben hat, mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch Politik, Verwaltung und die Hauptstadtregion zu stärken. So wurden an der Alma mater bernensis zwei Zentren geschaffen, die diesen regionalen Gedanken stützen: das Kompetenzzentrum für Public Management und das «Center for Regional Economic Development» (CRED). «Die Hauptstadtregion ist für die Uni Bern ausserordentlich attraktiv», betonte der Rektor.


Rektor Martin Täuber: «Die Hauptstadtregion ist für die Uni attraktiv.»

Service public, Medizinaltechnik, Zweisprachigkeit

Nicht nur mit Politik und Verwaltung will der Hauptstadtverein auftrumpfen: Im wirtschaftlichen Bereich soll die Hauptstadtregion zum wichtigsten Standort der grossen Service-Public-Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Anstalten ausgebaut werden. Die Bereiche der Präzisions- und Uhrenindustrie sowie der Medizinaltechnik sollen gestärkt werden. Ausserdem könne die Zweisprachigkeit die Brücke zwischen der deutschen und der französischen Schweiz schlagen.

Die Frage ist: Wie komme ich dorthin?

Diese schönen Ziele wollen sie alle erreichen – da waren sich die Politvertreter auf dem Podium einig. Differenzen zeigten sich aber in der Art und Weise, die zum Erfolg führen sollen. Ist ein geographischer Zusammenschluss über fünf Kantone nicht zu gross, fragte sich Ständerat Werner Luginbühl. Er erinnerte an das Projekt «Espace Mittelland», das schliesslich aufgrund einer gewissen Diffusität scheiterte. «Der Fokus muss klar auf die Hauptstadt gelegt sein», so der Bundesparlamentarier.


«Fokussieren statt verzetteln», mahnte der Berner Ständerat Werner Luginbühl.

Einen grösseren Radius zieht der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppat: Ob nach Bern oder Neuenburg, das sei egal, Hauptsache, die Investoren und Touristinnen kommen in die Hauptstadtregion, so der Stapi. Unter dem Strich profitiere ja die ganze Region. Wichtig sei, die Betriebe umsichtig an den richtigen Standorten anzusiedeln und nicht planlos flächendeckend zu verteilen. Tschäppät sieht zum Beispiel ein Kommunikationscluster rund um das BAKOM in Biel, ein Gesundheits-Cluster rund um das BAG und das Inselspital sowie einen IT-Schwerpunkt rund um die Swisscom. Durch die aktuellen Gegebenheiten werde Bern, das Politzentrum, bestimmt ein Schwergewicht sein.

Einer für alle, alle für einen

Für den Neuenburger Regierungsrat Nicati hat die Hauptstadtregion «genau die richtige Grösse, denn sie ist von den bestehenden Metropolitanräumen vorgegeben». Ein Fokus auf die Stadt Bern mag er nicht legen, sein Motto lautet: «Alle zusammen, bis in die Peripherie.» Ausserdem setze die Zweisprachigkeit der Hauptstadtregion bis über die Grenzen international ein Zeichen. Positiv werte er den Umzug des Bundesamtes für Statistik von Bern nach Neuenburg; was dem Kanton zwar nicht mehr Steuern, aber einen Profit indirekt über ein neues Institut an der Universität Neuenburg brachte.

Genau eine solche Dezentralisierung macht Werner Luginbühl Sorgen: «Fokussieren, nicht verzetteln», betonte der Ständerat erneut. Auch Voten aus dem Publikum mahnten, Geographieprofessor Paul Messerli schlug eine Doppelstrategie vor: Die klassische Hauptstadtfunktion bleibt in der Hauptstadt, die Hauptstadtregion entwickelt sich als Wirtschaftsraum. Damit stützt Messerli ein zentrales Ergebnis aus Heike Mayers Studie, das besagt, dass «dynamische Hauptstädte eine proaktive, auf Diversifizierung zielende Wirtschaftspolitik» betreiben.

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